Bergbaumuseum MiBERZ – »Berggeschrey« im sächsischen Erzgebirge

Nach dem Hochwasser 2002 fand man unter dem Ort Dippoldiswalde im Osterzgebirge Bergwerksschächte aus dem Hochmittelalter. Das »Museum für mittelalterlichen Bergbau im Erzgebirge« – kurz MiBERZ – greift die Forschungsergebnisse der Archäologen
auf und führt den Alltag der Bergleute im Mittelalter vor Augen.

Von Christian Ruf, freier Journalist, Dresden; Titelbild: © MiBERZ/Sylvio Dittrich
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Es gibt Beinamen, die ausgesprochen werbewirksam sind, andere weniger. Wer in eine »Schweiz« reist, ob nun sächsisch, märkisch oder holsteinisch, darf auf reizvolle Landschaften hoffen. Aber was ist von einer Gegend zu erwarten, die auf Karten ursprünglich unter »Miriquidi«, dunkler Wald, verbucht wurde? Da ist der heutige Name »Erzgebirge« schon deutlich leichter zu vermarkten.
Es war der intensive Bergbau, der zur Umbenennung des bis dato auch als Böhmischer Wald oder Böhmisches Gebirge bezeichneten und an sich eher verrufenen Gebiets sorgte. Der Name Erzgebirge wurde erstmals 1527 in den Bergwerksakten verwendet; 1542 fand er Eingang in die Münzordnung des Herzogs und späteren Kurfürsten Moritz sowie in die »Meißnische Bergchronik« des Petrus Albinus (1543 – 1598). Letzterer bezog sich jedoch nur auf jene Teile des Erzgebirges, die tatsächlich über Bergwerke verfügten.
Es war der Silberbergbau, der Sachsens Aufstieg im Spätmittelalter erst ermöglichte. Städte wie Schneeberg Sankt Joachimsthal, Annaberg, Buchholz oder Marienberg entstanden. Die Wettiner konnten sich freuen, bei den Albertinern, dem Zweig der Familie, der in Dresden residierte, machten Einkünfte aus dem Bergbau von 1488 bis 1497 jährlich rund ein Viertel der staatlichen Gesamteinnahmen aus.

Welterbe unter Tage

Der Silberrausch in Dippoldiswalde dauerte nur wenige Jahrzehnte. Dann waren die Vorkommen ausgebeutet und gerieten in Vergessenheit. Erst das Hochwasser 2002 brachte die Archäologen wieder auf die Spur der Bergbauaktivitäten. Inzwischen wurden über 40 Schächte im Untergrund ausfindig gemacht. Die unterirdische Bergbaulandschaft hat eine Fläche von 65 ha.
Dass anders als etwa in Freiberg kein zweites Berggeschrey erfolgte und damit zumindest unter Tage alles blieb, wie es war, erwies sich als absoluter Glücksfall. Auch entging Dippoldiswalde dem Schicksal manch anderer frühen Bergbausiedlungen: Zwar setzte im 14. Jh. ein gewisser Siedlungsrückgang und eine Verdichtung innerhalb der entstehenden Stadtmauer ein, aber die Stadt wurde eben nicht aufgegeben, sondern bildet bis heute ein wichtiges Mittelzentrum.
Der Silberrausch in Dippoldiswalde dauerte nur wenige Jahrzehnte. Dann waren die Vorkommen ausgebeutet und gerieten in Vergessenheit. Erst das Hochwasser 2002 brachte die Archäologen wieder auf die Spur der Bergbauaktivitäten. Inzwischen wurden über 40 Schächte im Untergrund ausfindig gemacht. Die unterirdische Bergbaulandschaft hat eine Fläche von 65 ha.
Dass anders als etwa in Freiberg kein zweites Berggeschrey erfolgte und damit zumindest unter Tage alles blieb, wie es war, erwies sich als absoluter Glücksfall. Auch entging Dippoldiswalde dem Schicksal manch anderer frühen Bergbausiedlungen: Zwar setzte im 14. Jh. ein gewisser Siedlungsrückgang und eine Verdichtung innerhalb der entstehenden Stadtmauer ein, aber die Stadt wurde eben nicht aufgegeben, sondern bildet bis heute ein wichtiges Mittelzentrum.

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Mittelalterliche Maschinen

An Audiostationen können Besucher dem Markgrafen Otto der Reiche oder gar Kaiser Barbarossa lauschen, die »höchstpersönlich« kurzweilige Einführungen in den Bergbau anno dazumal geben. Frühe Technologie und Geräte für Abbau und Verarbeitung des Silbererzes werden anschaulich erklärt. Die über 800 Jahre alten Funde beeindrucken durch ihren hervorragenden Erhaltungszustand. Zu sehen sind Leuchter, Erztröge, Bretter zum ­Sichern der Gruben oder auch Verhüttungsschlacken, vor allem aber hölzerne Gegenstände wie Leitern, Laufbohlen oder Stützhölzer, aber auch Werkzeugstiele oder Erzmulden zum Abbau und Transport des Erzgesteins. Ein spektakuläres Schaustück ist nicht zuletzt ein umfassend restauriertes Hauerstühlchen. ­Gerade einmal 25 cm hoch und mit drei Beinen ausgestattet, diente es den Bergleuten unter Tage bei ihrer schweren Arbeit als Sitzgelegenheit.
Einzigartig ist eine 800 Jahre alte, fast vollständige Haspel aus Holz – eine Seilwinde für schwere Lasten. Die Haspel stammt aus dem Grubenfeld am Obertorplatz von Dippoldiswalde. Ihre hölzernen Teile wurden zusammengefügt und nur die Welle ergänzt, sodass sie nun in ihrer ursprünglichen Form und imposanten Größe präsentiert wird. Sie ist infolge der Leiterin des Projekts ArchaeoMontan, Christiane Hemker, die älteste und am besten erhaltene Haspel in der europäischen Montanarchäologie. Im mittelalter­lichen Bergbau waren Haspeln die einzigen Maschinen. Eine Haspel stand immer über einem Schacht, entweder obertägig oder unter Tage in sogenannten Haspelkammern.

»Spätgotisches Wimmelbild«

Ein kleines, aber feines Modell der 30 m tiefen Abbaustrecken lässt erahnen, wie es einst unter der Stadt aussah. Die Gänge in den Bergwerken waren schmal und eng. Auch ein »spätgotisches Wimmelbild«, das berühmte Kuttenberger Kanzionale oder Graduale, ist als Faksimile zu sehen. Entstanden um 1490, gibt es ­detailreich den Kuttenberger Silberbergbau unter Tage wieder. Ähnlich wie in
den Szenen auf dem Kanzionale dürfte es auch in den Gruben von Dippoldiswalde 300 Jahre zuvor zugegangen sein.
Wer im Mittelalter begehrte Edelmetalle gewinnen wollte, musste das Erz nach dem Abbau erst einmal verhütten. In Sachsen kamen dafür am ehesten erfahrene Spezialisten aus dem Harz zum Einsatz, vermutet Archäologin Hemker. Angelockt wurden die Bergleute mit Privilegien, die ihnen der Markgraf von Meißen zusicherte: Sie durften sich ansiedeln und waren von Abgaben befreit. Zu den Erkenntnissen gehört laut Hemker auch, dass sich die Grubenbesitzer und Fach- und Hilfskräfte wie Zimmerleute oder Haspelknechte zu Gewerkschaften zusammenschlossen und die Schächte gemeinsam entwässerten. Die Arbeiter wohnten nach Lage der Dinge in unmittelbarer ­Nähe der Schächte und Halden. Von den Häusern aus jener Zeit zeugen heute jedoch lediglich Verfärbungen im Boden, die bei Ausgrabungen freigelegt werden.
Den bergbaulichen Charakter einer Siedlung belegen technische Anlagen wie Probieröfen, eine Schmiede sowie eine Röstgrube, in der die Silbererze aufbereitet wurden. Zwei quadratische Vertiefungen mit 3 m Seitenlänge entpuppen sich als Grubenhäuser, die bis zu 1,2 m in den Boden eingetieft waren und in den frühen Bergwerkssiedlungen als Wohnhäuser samt offener Feuerstelle dienten. Funde von eisernen Schlüsseln und Schlössern zeigen, dass man sein Eigentum sichern wollte.

Ein Blick in die Ausstellung. Foto: MiBERZ/Sylvio D

Ein Liter Bier am Tag

In den Grubenhäusern wohnten nicht nur die Bergleute, sondern auch ihre Familien. Darauf lassen tönerne Spielzeugpferdchen und Spinnwirtel schließen. Entsprechende Steine offenbaren, dass man mit Begeisterung Tricktrack spielte – eine Variante von Backgammon. Turnierpferdchen, Klappern und Tonfiguren waren vor dem Lego- und Playmobil-Zeitalter bei den Kindern beliebt. Erwachsene vergnügten sich hingegen beim Kegeln.
An Speiseabfällen fanden sich Fischreste, Knochen, Roggen, Saatweizen, Spelzgerste, Sellerie, Erbsen, Schlafmohn und Lein. Für die Wissenschaftler ergibt sich das Bild einer ausgewogenen Ernährung aus kohlenhydratreichen Mehlprodukten, proteinhaltigen Hülsenfrüchten, fettreichen Ölsaaten und Gemüse. Das tägliche Getränk war Bier. Es wurde an Männer, Frauen und Jugendliche ausgeschenkt – rund 1 l pro Person und Tag.
Importierte Keramikreste wie Bruchstücke kostbarer Glas- und Metallgefäße – absolute Luxusgüter – belegen, dass die Arbeit durchaus einträglich gewesen sein muss. Wie viel die Leute jedoch verdienten und wie stark die Kaufkraft real war, ist schwer einzuschätzen. Ausgestellt ist der Münzfund von Schwosdorf, der 1934 unweit von Kamenz beim Pflügen in einem Gefäß entdeckt wurde. Von 101 Münzen stammten 99 Prager Groschen aus der Prägestätte von Kuttenberg (Kutná Hora) in Böhmen, wo es enorme Silbervorkommen gab. Münzen dieses Typs wurden ab 1300 auf Geheiß des böhmischen Königs Wenzel II. mithilfe von versierten Finanzspezialisten aus Florenz nach französischem Vorbild geprägt und fanden weite Verbreitung wie auch entsprechende Nachahmung.
Christliche Frömmigkeit und Aber- bzw. Volksglaube prägten das Leben im hohen Mittelalter. Übernatürliche Kräfte wurden beschworen und gebannt, sei es durch ein vergrabenes Bauopfer oder einen tönernen Berggeist. Folglich wurden in einem neuen Haus Töpfe vergraben, in denen der Hausgeist wohnen sollte. In einer Grube unter der Glashütter Straße wurde ein Relief entdeckt, das man im Block barg: Es zeigt eine menschliche Figur mit Mund und Augen, breitbeinig stehend, die Arme sind über den Kopf erhoben, die Finger gespreizt. Die Bedeutung des Reliefs ist unbekannt.
Eine Pilgerampulle, die – da war sich der Besitzer wohl ganz sicher – geweihte Substanzen enthielt, diente wohl als Amulett. Interessant ist auch ein Deckelknauf in Form eines Berggeistes, der aus der Wüstung Bleiberg stammt. Die Religiosität wurde am Grubeneingang nicht ­ab­gelegt. In der Aufweitung eines auffällig großen Schachts wurden kleinere und größere Nischen, Vertiefungen und Zeichen in den Fels gehauen. Man spricht von »Andachtsecken«, sonst ist so etwas erst aus dem 16. und 17. Jh. bekannt.

Die Stiefel des Steigers

Lederstiefel
Lederstiefel der Bergleute. Foto: MiBERZ

Dank der guten Erhaltungsbedingungen haben sich im Bergwerk von Niederpöbel bei Dipps Lederreste von Stiefeln erhalten. Bildliche Darstellungen von Bergmännern unter Tage zeigen, dass Stiefel gern getragen wurden. Gut eingefettet bieten sie Schutz vor Feuchtigkeit, Schlamm und Wasser. Neben einem wadenhohen Stiefel, der vollständig rekonstruiert werden konnte, fand sich auch ein Paar mit sehr langem Schaft – sogenannte Lersen, die fast bis zum Schritt reichen und das gesamte Bein schützen.
Um die meist im Untergrund verborgenen archäologischen Denkmäler für die Menschen erlebbar zu machen, wird modernste Technik eingesetzt. So gewährt ­eine mobile App mithilfe eines Handys oder Tablets einen Blick aus der Luft oder von unten. Maßstäblich eingeblendete Schächte und Stollen unterhalb der Geländeoberfläche vermitteln ein Bild von der intensiven Bergbautätigkeit im Mittelalter. Nutzer erfahren etwa die beklemmende Enge in den Stollen oder sehen einem Hauer bei der Arbeit über die Schulter (dazu AiD 6 / 19, S. 26 – 29).
Der stete Bevölkerungszuwachs, der mit dem mittelalterlichen Bergbau einherging, hatte auch negative Folgen. Einer­seits waren die Bewohner nicht unvermögend, konnten sich etwa »Luxusgut« in Gestalt importierter Gefäße oder auch wertvolles Glas leisten, ja gar prächtige Kirchen erbauen. Anderseits war für Bergbau und Verhüttung nicht zuletzt viel Holz ­von­nöten. Sehr viel Holz! Ganze Landstriche wurden entwaldet, um entsprechende Wiederaufforstung kümmerte man sich erst im 19. Jh. wieder. Auch war mit dem Köhlereiprozess eine erhebliche Luftverschmutzung verbunden.