Alltagsleben Haithabu

Haithabu und Danewerk – Wikinger zwischen den Meeren

Seit dem 30. Juni 2018 ist es offiziell: Haithabu und Danewerk sind von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt worden! Die archäologischen Denkmale liegen an der engsten Stelle der jütischen Halbinsel in einer idyllischen Kulturlandschaft. Dort kann jeder das Welterbe aus Frühmittelalter und ­Wikingerzeit auf einer Strecke von 33 km zu Fuß oder mit dem Rad erkunden. Zwei Museen laden ein, in die Zeit vor mehr als 1000 Jahren einzutauchen. Folgen Sie den Spuren der Wikinger rund um Haithabu und Danewerk.

Von Birte Anspach, Christian Weltecke, Archäologisches Landesamt Schleswig Holstein und Ute Drews, Wikinger Museum Haithabu. Titelbild: © Wikingermuseum Haithabu
Zum Museum

1985 entstand am Ufer des Haddebyer Noores, in Sichtweite der Stadt Schleswig, das Wikinger Museum Haithabu: ein Schaufenster der Forschung und der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Seither kamen viele Millionen Besucher. 2009 / 2010 wurde die neue Dauerausstellung mit einem innovativen Gestaltungskonzept eröffnet. Sie soll vor allem eines herausstellen: Haithabu war in der Wikingerzeit von 750 bis 1050 n. Chr. das bedeutendste Fernhandelszentrum Nordeuropas. Die Ausstellung bildet gemeinsam mit sieben rekonstruierten Wikingerhäusern und den Befestigungen des Danewerks ein Ensemble, das die herausragende Bedeutung der Region zur Wikingerzeit erfahrbar macht – das Weltkulturerbe Haithabu und Danewerk.

Haithabu liegt auf der Südhälfte der jütischen Halbinsel auf Höhe der »Schleswiger Landenge«, einer besonders schmalen Stelle zwischen Ost- und Nordsee. Das war ideal für den Transit: Kleine Schiffe konnten über die Flüsse Eider und Treene von Westen und die Schlei von Osten landeinwärts fahren (AiD 3 / 2017, S. 64). Lediglich eine Strecke von 18 km Länge musste durch Landtransport überbrückt werden. Auf diese Weise konnten die Händler die zeitraubende und gefährliche Seefahrt um Jütland durch Kattegat und Skagerrak vermeiden. Das Handelszentrum selbst entstand an der innersten Bucht der Schlei, dem Haddebyer Noor, und erlebte im 9. und 10. Jh. seine Blütezeit. In der Mitte des 11. Jh. wurde es von westslawischen Angreifern zerstört und nie mehr aufgebaut. Der Ort fiel der Vergessenheit anheim und wurde erst am Ende des 19. Jh. wieder entdeckt.

Haithabu und Danewerk
Blick auf die Häuser. Foto: Wikinger Museum Haithabu

Über 100 Jahre Forschung

Archäologisch erforscht wird Haithabu seit seiner Wiederentdeckung. Kaum ein Museum kann so wie Haithabu allein anhand des eigenen Fundmaterials wikingerzeitliche Geschichte in dieser thematischen Breite erzählen. In den vergangenen Jahren kamen jedoch Erkenntnisse hinzu, die nun in die neue Präsentation einfließen. Heute wird dem Besucher in dreidimensionalen Modellen die gesamte Entwicklungsgeschichte der Stadt vorgeführt.

Die Bedeutung Haithabus im 9. und 10. Jh. resultiert aus der Ballung dreier Funktionen: Handwerk, Knotenpunkt für den Verkehr nach Nordeuropa sowie weltliches und geistliches Zentrum Dänemarks. Handwerker stellten Glasperlen her, gossen Bronzen und verarbeiteten Edelmetall. Es gab Schmiede, Kammmacher und Zimmerer. Runensteine sind sichtbare Zeichen königlicher Macht vor Ort. Dafür steht auch das Bootskammergrab: Unter dem Grabhügel wurde ein König mit seinem Schiff bestattet. An seiner Seite lagen – ganz im Sinne fränkischer Hofkultur – Mundschenk und Marschall. Ein Kammergrab mit reichen Grabbeigaben steht für die Anwesenheit wohlhabender Frauen in der Siedlung. Ebenso können der Wechsel vom heidnischen Glauben zu Christentum sowie unterschiedliche Bestattungstraditionen auf den zahlreichen Gräberfeldern von Haith­abu nachvollzogen werden.

Einen besonderen Schwerpunkt nimmt der frühmittelalterliche Handel ein. Das Spektrum umfasste nicht nur verhandelte Waren, sondern auch Geschenke und Raubgüter, die aus allen Himmelsrichtungen zusammenkamen. Münzen, Hacksilber, Waagen und Gewichte legen Zeugnis ab vom Handelsgeschehen in Haithabu und machen deutlich, welche Zahlungsmittel in Umlauf waren. Der Handel selbst spielte sich auf den Landebrücken im Hafen ab. Sie bildeten regelrechte Plattformen, die nicht nur den Schiffen zum Anlegen dienten, sondern auch die Marktplätze der Stadt waren.

Mit allen Sinnen in die Welt der Wikinger

In den Jahren 2005 bis 2008 wurden im historischen Gelände auf ausgegrabenem Areal sieben Häuser und eine ­Lande­brücke auf der Grundlage der archäologischen Untersuchungen rekonstruiert. Hier taucht der Besucher mit allen Sinnen in die Welt der Wikinger ein und lernt die Lebensverhältnisse der Bewohner von Haithabu unmittelbar kennen. ­Gleich­zeitig bieten die rekonstruierten Bauten eine Bühne für Experimente auf ­Grund­lage archäologischer Belege. Der Fokus liegt auf der Nutzung der Häuser. Dabei geht es nicht nur ums Wohnen, sondern auch um Einrichtungen für Haus und Handwerk. So trifft man auf Werkstätten von Geweihschnitzern und Holzhandwerkern, auf Webhäuser, die Behausung des Fischers und ein Haus mit Warenlager für den Fernhändler. Letzteres verlangt von uns, sich von herkömmlichen Vorstellungen nach dem Muster des Einfamilienhauses zu lösen: In einer frühmittelalterlichen Hafenstadt ist es denkbar, dass Fernhändler sich während der Zeit der Messe Behausungen teilten und dort mit ihren Waren und Schiffsmannschaften unterkamen. Ein Warenlager rheinischer ­Keramik weist beispielsweise auf einen Händler hin, der seine Waren über die Nordsee nach Haithabu brachte.

Alltag in den Häusern. Foto: Wikinger Museum Haithabu

Die Häuser sind bewohnt. Den modernen Wikingern kann man über die Schulter schauen, wenn sie wie vor Tausend ­Jahren alltägliche Arbeiten verrichten, beispielsweise Taue aus Lindenbast anfertigen, Lehmwände neu verputzen, Bohlenwege ausbessern oder Möbel für die Häuser bauen. Das Leben in Haithabu variert je nach Saison. Im Verlauf eines Jahres gibt es über 100 Veranstaltungen, meistens an den Wochenenden. Frühlings- und Sommermarkt gehören zu den aufwendigeren Events. Fischer bieten frisch geräucherten Aal oder Lachs aus der Schlei an, die Färberin verkauft ihre vor Ort nach alten Verfahren eingefärbten Tuche und Wolle. Eine Vielzahl Händler aus aller Herren Länder findet sich mit Waren der Wikingerzeit zu den Märkten in Haithabu ein.

Ein besonderer Fokus liegt auf frühmittelalterlichen Handwerkstechniken. Gezeigt wird vor allem die Herstellung von Dingen, die in Haithabu ausgegraben und in der Ausstellung des Museums präsentiert werden. Besonders eindrucksvoll ist sicherlich der Bau eines Wikingerschiffes. Mit etwas Glück können die Besucher mit der »Eric styrimathr« eine kleine Seefahrt unternehmen. Langbogenschützen kommen jährlich zum turniermäßigen Schießen nach Haithabu. Ebenso kommen Falk­ner und jagen mit ihren abgerichteten Greifvögeln. Das Wildbret wird vor den ­Augen der Besucher aus der Decke geschlagen und zubereitet.

Eine Inszenierung wikingerzeitlichen Lebens im wahrsten Sinne des Wortes bieten Theatervorstellungen. Kurze Stücke stellen Begebenheiten dar, die in isländischen Sagas überliefert sind und sich so oder ähnlich auch in Haithabu hätten zutragen können. Genauso wenig fehlen Erzählungen über die germanische Götterwelt.

Danewerk – Grenze seit 1500 Jahren

Untrennbar mit Haithabu verbunden ist das Verteidigungssystem des Danewerks. Der Landweg nach Norden zwischen den Meeren wurde hier durch die Flüsse Treene und Eider und die Ostseeförde Schlei auf wenige Kilometer verengt. Die Schleswiger Landenge begünstigte einerseits Handel und Austausch, war aber gleichzeitig auch prädestiniert als Ort kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Skandinavien und Kontinentaleuropa. Die Vielfalt und Qualität der archäologischen Zeugnisse sowie das reiche und äußerst gut erhaltene archäologische Material bezeugen eine Schlüsselstellung für die Interpretation und Erforschung wirtschaftlicher, sozialer und historischer Entwicklungen der Wikingerzeit in Europa.

Das Danewerk sicherte im Früh- und Hochmittelalter die Grenze des dänischen Reiches zu seinen südlichen Nachbarn und kontrollierte den Landweg zwischen Nord- und Ostsee. Es ist älter als Haithabu – die frühesten Bauten entstanden bereits vor der Wikingerzeit im 6. Jh. Im 8. Jh. wurde das Danewerk massiv befestigt und erstreckte sich über 33 km Länge. Das Grenzsystem umfasst neben Erdwällen, Holzpalisaden, Gräben, Steinmauern und einem Sperrwerk im Wasser auch natürliche Hindernisse wie Gewässer und Niederungen. Heute sind noch rund 27 km der mächtigen Befestigungslinie wahrnehmbar. Die Anlage ist durch verschiedene raumgreifende Ausbauphasen geprägt und spiegelt zugleich den Wechsel und kontinuierlichen Gebrauch von Bautechniken und Materialien im Laufe der Jahrhunderte bis hin zum Zweiten Weltkrieg wider. Das Danewerk wird in unterschiedlicher Abschnitte eingeteilt: Krummwall, Hauptwall, Nordwall, Verbindungswall, Kograben, Seesperrwerk und Osterwall. Fast alle Wallabschnitte können zu Fuß oder auch mit dem Rad erkundet werden. Die 2014 erstellte Beschilderung informiert die Besucher an prominenten Stellen.

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Danevirke Museum, Waldemarsmauer und Hauptwall

Das Danevirke Museum informiert über das Verteidigungssystem und seine Nutzung bis ins 20. Jh. hinein. In der Dauerausstellung wird die Bedeutung des Danewerks im deutsch-dänischen Krieg von 1864 sowie die Geschichte der dänischen Minderheit von 1864 bis in die Gegenwart dokumentiert. Daran anschließend kann im Archäologischen Park einer der bekanntesten Teile des Danewerks besucht werden: Der dänische König Waldemar der Große (reg. 1157 – 1182) ließ hier die Waldemarsmauer errichten – eines der ältesten und größten weltlichen Bauwerke aus Ziegelsteinen in Europa. Die Mauer verstärkte den Hauptwall des Danewerks auf einer Länge von 4,5 km und umfasst ein Volumen von 25 000 m3 Ziegelmauerwerk.

Der Hauptwall ist der mächtigste und bedeutendste Wall des Danewerks. Er bestand über die gesamte Zeit hinweg. Die früheste Phase kann ins 6. Jh. datiert werden, also deutlich vor die Wikingerzeit. In der Folge wurde der Hauptwall massiv ausgebaut und verstärkt. Durch seine Lage zwischen zwei Niederungen, im Westen die damals schiffbare Rheider Au und im Osten der heute vertrocknete Dannewerker See, nutzten die Erbauer natürliche Hindernisse und blockierten so die Schleswiger Landenge. Zu den markantesten Phasen zählen die Verlängerung des Hauptwalles durch die Wallabschnitte des Krummwalls, des Nordwalls, des Osterwalls sowie durch das Seesperrwerk in der Schlei um 737, die Feldsteinmauer im Hauptwall um 740, der Verbindungswall mit der Anbindung Haithabus an den Hauptwall um 970, die Verkürzung der Walllinie durch den Kograben in den darauffolgenden Jahrzehnten und die große Ziegelsteinmauer von Waldemar dem Großen um 1170. Die jüngsten Ausbauphasen erfolgten zur Zeit des Deutsch-Dänischen Krieges im 19. Jh. und zuletzt während des Zweiten Weltkrieges.

Vom Danevirke Museum aus kann man in beiden Richtungen am Hauptwall entlangwandern. Unmittelbar beim Museum kreuzte der Ochsenweg den Wall. Im Jahre 2010 wurde dort bei einer Ausgrabung ein lange vermutetes Tor nachgewiesen. Am östlich Ende liegt die ­Thyra­burg. Hier präsentiert sich der Wall streckenweise sehr steil und in imponierender Höhe, davor deutlich sichtbar der ­Graben. Vom Museum nach Westen gelangt der Wanderer zur 80 m langen Ruine der Waldemarsmauer. Der anschließende Abschnitt bis zum Krummwall tritt als mächtiger Erdhügel in Erscheinung und ist – ebenso wie zwischen Thyraburg und Ochsenweg – stark von den Befestigungs­arbeiten des dänischen Militärs aus den Jahren 1861 / 64 geprägt. Zwei geschleifte ehemalige Schanzen liegen im Hauptwall. Schanze 14 in der Nähe der Waldemarsmauer wurde in den Jahren 2001 bis 2003 rekonstruiert und kann besichtigt werden.

Halbkreiswall
Die Befestigungen des Danewerks und von Haithabu lassen sich hervorragend zu Fuß oder mit dem Rad erkunden. Foto: Wikinger Museum Haithabu

Halbkreiswall, Verbindungswall und Kograben

Ursprünglich war Haithabu eine unbefestigte Stadt. Erst in der Mitte des 10. Jh. entstand ein halbkreisförmiger Verteidigungswall – der Halbkreiswall. Die 1,3 km lange Anlage bestimmt das heutige Erscheinungsbild Haithabus. Mit dem Bau des Verbindungswalles wurde der Handelsplatz dann an das Danewerk angeschlossen. Er schützte die Stadt in den letzten 100 Jahren ihres Bestehens.
Ein Spaziergang auf dem Halbkreiswall bietet gute Sicht auf Museumsgelände und Haddebyer Noor. Am Scheitelpunkt des Halbkreiswalls setzt der Verbindungwall an, der zur Erkundung des Danewerks in westlicher Richtung über eine Strecke von gut 3 km einlädt. Der Verbindungwall verläuft zunächst gradlinig bis zum Busdorfer Tal im Ort Busdorf. Dieses durch die Gletscher der Eiszeit entstandene Tal mit steil abfallenden Hängen bildet ein natürliches Hindernis, weshalb der Wall dort unterbrochen ist. Treppen und Geländer machen diesen Abschnitt zugänglich.
Der Kograben bildete im Süden eine selbstständige Verteidigungslinie zusätzlich zum Danewerk. Dadurch lag die wichtige Handelsstadt Haithabu nicht mehr an der vorderen Verteidigungslinie, sondern rückte ins geschützte Hinterland. Im Gegensatz zum Rest des Danewerkes, das stets topografischen Gegebenheiten folgt, verläuft der Kograben auf 6,5 km Länge schnurgerade durch die Landschaft. Er bildet die kürzeste Verbindung zwischen den heute verlandeten Flussniederungen der Rheider Au und dem Selker Noor. Vermutlich war es Harald Blauzahn (910 – 987), der diesen Teil des Danewerks am Ende des 10. Jh. baute, um den gerade überwundenen ostfränkischen Einfluss im dänischen Grenzgebiet in Schach zu halten. Die ursprünglich hölzerne Palisadenfront ist heute nicht mehr vorhanden, stattdessen sind der Erdwall, die Berme und der vorgelagerte Spitzgraben deutlich sichtbar. Weite Teile sind in der Vergangenheit jedoch geschleift oder zumindest stark beeinträchtigt worden.

Osterwall

Der Osterwall ist, wie der Name sagt, der östlichste Teil des Danewerks. Er sperrte den Durchgang zwischen der sumpfigen Flussniederung der Osterbek und dem Windebyer Noor und schützte so die Halbinsel Schwansen südlich der Schlei. Das Danewerk wurde am stärksten in der Mitte des 8. Jh. ausgebaut (737 / 740), als die Könige des Fränkischen Reichs Kriegs­züge gegen die Sachsen südlich der Elbe führten und die slawischen Stämme den südöstlichen Teil der jütischen Halbinsel zu besetzen begannen. Beide Entwicklungen könnten von der Elite auf der jütischen Halbinsel als mögliche Bedrohung Dänemarks betrachtet worden sein. In dieser Zeit wird der Hauptwall verstärkt, der Krummwall gebaut, der Nordwall im ­Osten errichtet, die Schlei mit dem Bau des Seesperrwerks verteidigt und schließlich, als Verlängerung des Sperrwerks im Osten, der Osterwall gebaut.
Vom Wall selbst ist kaum etwas zu sehen, doch lädt die Landschaft rund um das Windebyer Noor mit ihren zahlreichen archäologischen Stätten, Kulturdenkmalen und der Natur zu einer Rad- oder Wandertour ein. 

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