Übergabe der ENIGMA in Schleswig

Übergabe der ENIGMA
Übergabe der ENIGMA an das Archäologische Landesamt Schleswig-Holstein © ALSH

Fast täglich nehmen die Mitarbeiter:innen des Archäologischen Landesamtes Fundmeldungen aus der Bevölkerung über Zufallsfunde und alte Sammlungen entgegen, überprüfen ihre Bedeutung, bestimmen das Fundmaterial und verzeichnen die Informationen in der Archäologischen Landesaufnahme. Die Archäologische Landesaufnahme ist das moderne datenbankbasierte und mit geographischen Informationen versehene Gesamtverzeichnis aller Fundstellen in Schleswig-Holstein.

Bevor die ENIGMA nun in der Werkstatt des Museums für Archäologie auf Schloss Gottorf in die Restaurierung geht, wird sie im Archäologischen Landesamt registriert und fotografiert. Florian Huber übergibt neben dem guten Stück selbst auch die Fundmeldung.

Dr. Ulf Ickerodt, Direktor des Archäologischen Landesamtes und Landesarchäologe des Landes Schleswig-Holstein, dazu: „Mit solchen Zufallsfunden, wie der Enigma, erfasst die landesarchäologische Forschung mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs einen Zeithorizont, der Jahr für Jahr, mit größer werdenden zeitlichem Abstand, zunehmend aus dem Blickfeld zu geraten droht. Trotz aller technikgeschichtlichen Faszination, bei der es nicht nur um Kryptographie, sondern auch um die Frühphase der modernen Informationstechnologie geht, sind sie willkommener Anlass, uns mit dieser Phase unserer Geschichte auseinanderzusetzen.

Eine gute Zusammenarbeit besteht auch mit Archäologen wie Florian Huber, der zurzeit mit seinen Kollegen von der Kieler Firma Submaris im Auftrag des WWF in der Ostsee unterwegs ist, um Geisternetze zu lokalisieren und zu bergen. Geisternetze sind herrenlose Fischernetze, die immer weiter durchs Meer treiben und so eine Gefahr für Meeresbewohner darstellen. Für diese Arbeiten haben die Forschungstaucher eine denkmalrechtliche Genehmigung des Archäologischen Landesamtes, denn häufig hängen die verlorenen Netze auch an Wrackteilen fest.

Im November 2020 meldeten die Forschungstaucher von Submaris einen spektakulären Fund aus der Geltinger Bucht: Eigentlich sah es aus wie eine „Schreibmaschine“, die sich im trüben Grün der Ostsee in einem der Netze verheddert hatte. Aber unmittelbar nach der Bergung erkannten die Wissenschaftler die historische Bedeutung dieses Fundes: Ihnen war doch tatsächlich eine ENIGMA buchstäblich ins Netz gegangen, eine komplexe Chiffriermaschine der Deutschen aus dem Zweiten Weltkrieg.

Enigma
Die Forschungstaucher Christian Howe, Florian Huber (Mitte) und Uli Kunz kurz nach der Bergung. © Uli Kunz/Submaris

„Der Fundort und die Fundumstände sind für uns immer ein wichtiger Teil bei der Beurteilung einer Entdeckung. Der Unterwasserfund der ENIGMA in der Geltinger Bucht gehört zu einem speziellen Teil der Geschichte Schleswig-Holsteins. Aufgrund seiner zeitgeschichtlichen Bedeutung kann er sogar als nationales Kulturgut angesehen werden. Deshalb ist es so wichtig, dass solche Funde an die zuständige Stelle, in diesem Fall das Archäologische Landesamt, gemeldet werden: damit sie der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt und professionell konserviert werden können“, so die Gebietsdezernentin u. a. des Kreises Schleswig-Flensburg und Unterwasserexpertin, Dr. Stefanie Klooß, die schon oft mit dem Team um Florian Huber zusammengearbeitet hat.

Florian Huber hat dazu auch schon einiges recherchiert:

So kam die ENIGMA in die Geltinger Bucht

In der Nacht vom 4. auf den 5. Mai 1945 war die Geltinger Bucht Schauplatz einer groß angelegten Selbstversenkungsaktion der deutschen Kriegsmarine. Gemäß „Regenbogen-Befehl“ versenkten die Besatzungen von rund 50 U-Booten ihre Schiffe, um sie nicht an die Siegermächte übergeben zu müssen. „Wir vermuten, dass unsere ENIGMA im Zuge dieses Ereignisses über Bord gegangen ist“, sagt der Unterwasserarchäologe Dr. Florian Huber. Die Vernichtung der Kryptomittel, also der Geräte, die zur Verschlüsselung geheimer Informationen und Daten dienten, wurde bei der Aufgabe oder Selbstversenkung eines Kriegsschiffs grundsätzlich zuerst angeordnet.

Insgesamt versanken am Ende des Zweiten Weltkriegs im Rahmen des „Regenbogen-Befehls“ über 200 U-Boote in Nord- und Ostsee, unter anderem vor Flensburg, Eckernförde, Cuxhaven, Bremerhaven und Wilhelmshaven. Zwischen 1948 und 1957 wurden die U-Boote vom Grund der Geltinger Bucht gehoben und anschließend verschrottet. Ein U-Boot allerdings, U 2540, wurde wieder repariert und stand zunächst im Dienst der Bundesmarine. Heute liegt es unter dem Namen „Wilhelm Bauer“ im Museumshafen in Bremerhaven und kann besichtigt werden.

Ob die gefundene Enigma aber tatsächlich von einem U-Boot stammt oder von einem der vielen Kriegsschiffe, die ebenfalls in der Geltinger Bucht lagen, müssen künftige Untersuchungen zeigen.

Das Wort „Enigma“ ist Griechisch und bedeutet Rätsel. Die gleichnamige Chiffriermaschine hat der deutsche Ingenieur Arthur Scherbius erfunden. Über die ENIGMA wurde während des Zweiten Weltkriegs der größte Teil der Funksprüche der deutschen Wehrmacht und Marine vor dem Absenden verschlüsselt und nach dem Empfang wieder entschlüsselt. Dabei konnte die Nachricht nur dekodiert werden, wenn der Empfänger alle Einstellungen der Sende-ENIGMA kannte. Auf diese Weise war es möglich, mit einer zweiten ENIGMA die Verschlüsselung rückgängig zu machen und den Klartext zu lesen.

Das Gerät bestand im Wesentlichen aus einer Tastatur, einem Walzensatz mit drei oder vier austauschbaren Walzen sowie aus einem beleuchteten Buchstabenfeld. Rotor-Chiffriermaschinen wie die ENIGMA funktionierten mittels komplexer mechanischer oder elektromechanischer Technik. Dennoch gelang es der Britischen Chiffrierstelle in Bletchley Park in der Nähe von London immer wieder, die chiffrierten deutschen Funksprüche trotz technischer Raffinessen zu entschlüsseln. Maßgeblich daran beteiligt war der britische Mathematiker und Kryptoanalytiker Alan Turing.

Was passiert jetzt mit der ENIGMA?

Um den Korrosionsprozess aufzuhalten, ist es notwendig, dass die Enigma in einem Bad aus destilliertem Wasser gelagert wird. So werden die Chloride herausgespült und die Zersetzung, die an der Luft schneller vonstattengeht, aufgehalten. Dort bleibt sie rund ein Jahr. In der Zwischenzeit darf sie aber auch zu Dokumentationszwecken, zum Röntgen oder auch schon zur partiellen Freilegung für kurze Zeit herausgenommen werden. Ebenfalls wird von den Experten ein Restaurierungskonzept erarbeitet, das bedeutet, dass analysiert wird, wie der besondere Fund ausgestellt werden kann, wie sich die Materialien restaurieren lassen und ob möglicherweise der Öffentlichkeit ein Blick ins Innere gestattet werden kann. „Sobald die Restaurierung der Enigma abgeschlossen ist, werden wir den Fund selbstverständlich umgehend im Museum auf Schloss Gottorf prominent präsentieren und ausstellen“, so Dr. Ralf Bleile, bevollmächtigter Direktor des Museums für Archäologie.

Nach Pressemitteilung des Archäologischen Landesamts Schleswig-Holstein