Neandertaler und Acheuléen-Kultur existierten 100.000 Jahre lang nebeneinander

Forschungen der School of Anthropology and Conservation der University of Kent haben ergeben, dass eine der frühesten Steinwerkzeugkulturen, das sogenannte Acheuléen, wahrscheinlich zehntausende von Jahren länger existierte als bisher angenommen.

Neanderthal model. Reconstruction of a Neanderthal (Homo neanderthalensis) based on the La Ferrassie 1 fossil. Neanderthals inhabited Europe and western Asia between 230,000 and 29,000 years ago. They did not use complex tools but had mastery of fire and built shelters. It is thought that they had language and a complex social structure, living in small family groups and hunting for food. It is not known why Neanderthals became extinct, but one theory is that they were outcompeted by modern humans (Homo sapiens). Reconstruction by Elisabeth Daynes of the Daynes Studio, Paris, France.
Neanderthal model. Reconstruction by Elisabeth Daynes of the Daynes Studio, Paris, France.

Man schätzte, dass das Acheuléen vor etwa 200.000 Jahren ausstarb, aber die neuen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass es noch viel länger existierte und sich über 100.000 Jahre mit den fortschrittlicheren Technologien der Neandertaler und frühen modernen Menschen überschnitt.

Das Forscherteam unter der Leitung von Dr. Alastair Key (Kent) sowie Dr. David Roberts (Kent) und Dr. Ivan Jaric (Biologiezentrum der Tschechischen Akademie der Wissenschaften) machte die Entdeckung bei der Untersuchung von Steinwerkzeugfunden aus verschiedenen Regionen der Welt. Mit Hilfe von statistischen Techniken, die in der archäologischen Wissenschaft neu sind, konnten die Archäologen und Konservierungsexperten das Ende der Acheuléen-Periode rekonstruieren und die archäologischen Aufzeichnungen neu kartieren.

Bisher war man davon ausgegangen, dass es einen schnelleren Wechsel zwischen den früheren Acheuléen-Steinwerkzeug-Designs, die oft mit Homo heidelbergensis – dem gemeinsamen Vorfahren des modernen Menschen und des Neandertalers – in Verbindung gebracht werden, und den fortschrittlicheren „Levallois“-Technologien, die von frühen modernen Menschen und Neandertalern geschaffen wurden, gab. Die Studie hat jedoch ein neues Licht auf den Übergang zwischen diesen beiden Technologien geworfen und deutet auf erhebliche Überschneidungen zwischen beiden hin.

Acheuléen Steinwerkzeugtechnologien sind die langlebigste kulturelle Tradition, die von frühen Menschen praktiziert wurde. Die für diese Periode charakteristischen Steinwerkzeuge – Faustkeile und Spaltkeile – entstanden vor 1,75 Millionen Jahren in Ostafrika und wurden später in ganz Afrika, Europa und Asien von verschiedenen Arten von Frühmenschen verwendet. Vor dieser Entdeckung wurde allgemein angenommen, dass die Acheuléen-Periode zwischen 300-150.000 Jahren endete. Allerdings fehlte es den Aufzeichnungen an genauen Daten, und der Zeitpunkt ihres Endes war stark umstritten. Das Team aus Kent und Tschechien fand heraus, dass die Tradition wahrscheinlich zu unterschiedlichen Zeiten auf der Welt endete, von vor 170.000 Jahren in Afrika südlich der Sahara bis vor 57.000 Jahren in Asien.

Um zu verstehen, wann die Acheuléen-Tradition endete, sammelte das Team Informationen über verschiedene archäologische Stätten auf der ganzen Welt, um die letzten bekannten Steinwerkzeugsammlungen zu finden. Ein statistisches Verfahren, das als optimale lineare Schätzung bekannt ist und häufig in Naturschutzstudien verwendet wird, um das Aussterben von Arten abzuschätzen, wurde verwendet, um vorherzusagen, wie viel länger die Tradition der Steinwerkzeuge nach den letzten bekannten Fundorten anhielt. Das Verfahren war in der Lage, den Teil der archäologischen Aufzeichnungen zu modellieren, der noch entdeckt werden muss.

Dr. Alastair Key, ein paläolithischer Archäologe und der Hauptautor der Studie, sagte: „Die frühesten archäologischen Aufzeichnungen werden immer ein unvollständiges Bild des frühen menschlichen Verhaltens sein, daher wissen wir, dass die jüngsten bekannten Acheuléen-Fundstellen wahrscheinlich nicht die letzten Instanzen dieser Technologien darstellen. Indem das Verfahren uns erlaubt, diese fehlenden Teile der archäologischen Aufzeichnungen zu rekonstruieren, gibt sie uns nicht nur ein genaueres Verständnis davon, wann die Tradition endete, sondern auch einen Hinweis, wo wir in Zukunft neue archäologische Entdeckungen erwarten können.

Dr. Roberts fügte hinzu: „Diese Technik wurde ursprünglich von mir und einem Kollegen entwickelt, um das Aussterben von Arten zu datieren, da es unwahrscheinlich ist, dass die letzte Sichtung einer Art das Datum ist, an dem sie tatsächlich ausgestorben ist. Es ist spannend zu sehen, wie sie in einem neuen Kontext angewendet wird.“

Nach einer Pressemeldung der  EurekAlert!


Die Forschungsarbeit ‚Modelling the end of the Acheulean at global and continental levels suggests widespread persistence into the Middle Palaeolithic‘ ist in Humanities & Social Sciences Communications erschienen. doi:10.1057/s41599-021-00735-8

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