Landnutzung ging nicht immer auf Kosten der Natur

Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass die Landnutzung durch menschliche Gesellschaften die Ökologie auf den meisten Flächen der Erde seit mindestens 12.000 Jahren umgestaltet hat. Ein internationales Forscherteam fand heraus, dass die Hauptursache für die aktuelle Biodiversitätskrise nicht die Zerstörung von unbewohntem Wildland ist. Sie liegt vielmehr in der Aneignung, Besiedlung und verstärkten Nutzung von zuvor nachhaltig bewirtschafteten Flächen.

Landnutzung: Rodung von Ackerland im Frühjahr für die Bepflanzung, Einsatz von Ochsen- und Pferdegespannen zum Pflügen und Herausziehen von Baumstümpfen.
Rodung von Ackerland im Frühjahr für die Bepflanzung. Credit: akg / North Wind Picture Archive

Die neuen Daten widerlegen frühere Rekonstruktionen der globalen Landnutzungsgeschichte. Einige davon deuteten darauf hin, dass der größte Teil des Landes auf der Erde noch bis vor 1500 n. Chr. unbewohnt war. Darüber hinaus unterstützt diese neue PNAS-Studie das Argument, dass ein wesentlicher Weg zur Beendigung der aktuellen Biodiversitätskrise auf der Erde darin besteht, die Umweltverantwortung indigener Völker und lokaler Gemeinschaften auf dem gesamten Planeten zu stärken.

„Unsere Arbeit zeigt, dass die meisten Gebiete, die als ‚unberührt‘, ‚wild‘ und ’natürlich‘ dargestellt werden, dabei handelt es sich um Gebiete mit einer langen Geschichte menschlicher Besiedlung und Nutzung“, sagt Erle Ellis von UMBC, Professor für Geographie und Umweltsysteme und Hauptautor. Sie könnten so interpretiert werden, weil in diesen Gebieten „Gesellschaften ihre Landschaften auf eine Art und Weise nutzten, die den größten Teil der einheimischen Artenvielfalt erhielt und sogar ihre Artenvielfalt, Produktivität und Widerstandsfähigkeit erhöhte.“

Kartierung von 12.000 Jahren Landnutzung

Das interdisziplinäre Forschungsteam besteht aus Geographen, Archäologen, Anthropologen, Ökologen und Naturwissenschaftlern. Sie stammen aus den USA, den Niederlanden, China, Deutschland, Australien und Argentinien. Sie bündelten ihr Wissen und ihre Expertise in einer groß angelegten Studie, die einen sehr kooperativen Ansatz erforderte. Die Forschenden untersuchten, inwieweit die globalen Muster der Landnutzung und Bevölkerung über 12.000 Jahre hinweg statistisch mit den heutigen globalen Mustern hoher Biodiversitätswerte in den für den Schutz priorisierten Gebieten verbunden sind.

„Unsere globalen Karten zeigen, dass schon vor 12.000 Jahren fast drei Viertel der terrestrischen Natur von Menschen bewohnt, genutzt und gestaltet wurde“, sagt Ellis. „Von Menschen unberührte Gebiete waren vor 12.000 Jahren fast genauso selten wie heute.“

Die kulturellen Praktiken der frühen Landnutzer hatten zwar einen gewissen Einfluss auf das Aussterben von Arten. Im Großen und Ganzen hat jedoch die Landnutzung durch indigene und traditionelle Gemeinschaften den Großteil der Biodiversität der Erde über Jahrtausende hinweg erhalten. Diese Erkenntnis kommt zu einer kritischen Zeit, denn es ist dringend notwendig, nachhaltige Lösungen für unsere größten Umweltprobleme zu entwickeln.

„Das Problem ist nicht die menschliche Nutzung an sich“, erklärt Professorin und Mitautorin Nicole Boivin. Sie arbeitet am Max-Planck-Institut für die Erforschung der Menschheitsgeschichte in Jena, Deutschland. „Das Problem ist die Art der Landnutzung, die wir in industrialisierten Gesellschaften sehen. Diese ist gekennzeichnet durch nicht nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken und ungebremste Extraktion.“

Um die heutige Natur wirklich zu verstehen, ist es notwendig, die menschliche Geschichte dieser Natur zu verstehen. Außerhalb einiger weniger abgelegener Gebiete „wurde die Natur von menschlichen Gesellschaften über Jahrtausende hinweg geformt“, sagt Ellis. Er glaubt, dass Bemühungen zum Umweltschutz „nicht erfolgreich sein werden, ohne die indigene, traditionelle und lokale Bevölkerung zu stärken. Sie kennen ihre Umwelt auf eine Art und Weise, die Wissenschaftler erst beginnen zu verstehen.“

Grenzen

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Wo ist die Grenze? Eine Frage, die unsere Gesellschaft in vielerlei Hinsicht beschäftigt. Dieser Sammelband stellt die aktuellen Forschungsansätze zu Gestalt und Bedeutung von Grenzen Mitteleuropas über die Jahrtausende vor. Diskutiert wird u. a., ob sich Grenzen in der materiellen Kultur zeigen und ob Grenzen nicht vielmehr Zonen der Mobilität und Interaktion darstellen. Interdisziplinär und methodenkritisch rückt dieses Buch nicht nur die Diskussion um Grenzen, sondern auch ihre Rolle in der aktuellen archäologischen Forschung in den Fokus.

Eine nachhaltige Zukunft

„Unsere Forschung zeigt die Verbindungen zwischen Menschen und Natur, die sich über Jahrtausende erstrecken“, sagt Torben Rick. Er ist Mitautor der Studie und Kurator für nordamerikanische Archäologie am Smithsonian National Museum of Natural History. „Diese Verbindungen sind wichtig, um zu verstehen, wie wir in die Gegenwart gelangt sind und wie wir eine nachhaltigere Zukunft erreichen können.“

Diese Forschung stellt einen Brückenschlag zwischen Archäologie, Wissenschaft des globalen Wandels, Naturschutz und den Gelehrten des indigenen Wissens dar. Die Co-Autoren hoffen, dass diese Arbeit die Tür zu einer verstärkten Nutzung von Daten zur globalen Landnutzungsgeschichte durch politische Entscheidungsträger und Aktivisten sowie Naturwissenschaftlern öffnet. Führungskräfte in einer Reihe von Bereichen können diese Daten nutzen, um indigene, traditionelle und lokale Völker besser zu verstehen. Und mit ihnen zusammenzuarbeiten, um die Biodiversität und Ökosysteme langfristig zu erhalten.

„Es ist klar, dass die Perspektiven indigener und lokaler Völker bei globalen Verhandlungen zur Reduzierung des Biodiversitätsverlustes im Vordergrund stehen sollten“, sagt Rebecca Shaw. Sie ist leitende Wissenschaftlerin beim World Wildlife Fund und ebenfalls Mitautorin der Studie. „Es gibt eine globale Krise. Und zwar in der Art und Weise, wie sich traditionell genutztes Land durch das Ausmaß der intensiven menschlichen Entwicklung verändert. Wir müssen den Kurs ändern, wenn wir die Menschheit über die nächsten 12.000 Jahre erhalten wollen.“

Nach Pressemitteilung der University of Maryland Baltimore Count

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