Oldenburger Totenstatt

Oldendorfer Totenstatt – Wandern zwischen Leben und Tod

Von Angelika Franz. Titelbild: Ein Ort für die Toten: 4000 Jahre lang liente der idyllische Flecken Erde am Zufluss zwischen Lopau und Luhe als Begräbnisstätte. Foto: Erwin Keefer

Im Osten der Lüneburger Heide liegen Diesseits und Jenseits dicht beisammen. Romantische Wanderwege führen durch die mystische Landschaft – und je nach Wahl hinauf zum Tanzplatz der Heidekönigin oder hinab in das jungsteinzeitliche Reich der Toten.

Am vorletzten Sonntag im August geht es immer hoch her in Amelinghausen. Dann strömen Tausende von Besuchern zu dem Ort im Naturpark Lüneburger Heide, um der Krönung Ihrer Majestät, der Heidekönigin, beizuwohnen. Die Kulisse für die Krönung könnte schöner nicht sein: In diesen letzten August- und ersten Septemberwochen, wenn die Heide in voller Blüte steht, gleicht die Landschaft einem pastellfarbenen Wunderland in zarten Pink- und Lilatönen. Insgesamt neun Tage lang dauern die Feierlichkeiten, die mit der prachtvollen Zeremonie am Kronsberg enden. Es ist ein Fest des Lebens. Kinder hopsen fröhlich in Ballettkostümen durch die Straßen, würdig schreiten die Königin und ihr Hofstaat in prächtigen Roben daher, es wird getanzt, gelacht, gesungen, getrunken und gut gegessen.

Nur wenige Minuten zu Fuß vom Kronsberg entfernt wird es dagegen ganz still. Nur der Wind raschelt durch die Heide, träge summen ein paar Insekten in der Herbstsonne. Leben und Tod liegen ganz dicht beisammen in der Lüneburger Heide, denn nur rund 1 km nordwestlich vom Krönungsort der Heidekönigin liegt die Oldendorfer Totenstatt. Hier regierte der Tod fast 4000 Jahre lang. Als im Neolithikum um 3700 v.Chr. die ersten Siedler der Trichterbecherkultur aus dem Osten kamen, bestatteten sie hier ihre Toten zwischen mühsam herbeigezogenen Monolithen und schütteten riesige Erdwälle auf. Zur Bronzezeit setzten von 1600 bis 1200 v.Chr. die Heidebewohner weitere kleine Grabhügel zwischen die monumentalen Hünenbetten. Selbst in der Eisen- und Völkerwanderungszeit, bis tief in die ersten nachchristlichen Jahrhunderte hinein, bestatteten sie ihre Verstorbenen im Schatten der neolithischen Erdwälle noch in Urnengräbern. Mit dieser über vier Jahrtausende andauernden Belegungszeit ist die Totenstatt Oldendorf eine der vielseitigsten und interessantesten archäologischen Stätten der Lüneburger Heide.

Neues zuhause nahe der alten Heimat

Blick auf die Grabkammer des Hünenbett IV aus der Zeit der späten Jungsteinzeit in der Oldendorfer Totenstatt. Foto: akg-images / Bildarchiv Steffens

Die neolithischen Ackerbauern der Trichterbecherkultur waren nicht die ersten Menschen, die sich hier, wo die Lopau in die Luhe fließt, länger ufhielten. Noch unter den Grabbauten liegen Feuerstellen und Silexklingen, die Spuren vorangehender mesolithischer Besiedlung. Die Ackerbauern waren jedoch die ersten, die kamen, um sich dauerhaft an diesem Knotenpunkt zweier Wasserwege niederzulassen. Ihren Gefäßen zufolge hatten sie keinen langen Weg zurücklegen müssen. Vermutlich sind sie aus den östlich gelegenen Siedlungsgebieten der Trichterbecherkultur an den Flüssen Ilmenau und Neetze eingewandert, die selbst mit schwerem Gepäck nicht mehr als ein paar wenige Tageswanderungen von Oldendorf entfernt liegen. Der Ort war die Endstation ihrer Reise: Die weiter westlich gelegene Heide blieb – wegen der sandigen, nährstoffarmen Böden – unbesiedelt. Vermutlich waren es die Anführer dieser Gründergeneration, die im Grab III, dem ältesten der Oldendorfer Totenstatt, beigesetzt wurden. Für sie nahmen die Siedler die ungeheuer kraft- und zeitraubende Mühe auf sich, 88 große Findlinge aus der Umgebung auf Holzschlitten zu dem Plateau über der Lopaumündung zu ziehen und in einem langen Rechteck aufzustellen. Innerhalb dieses Bezirks legten sie dann – möglicherweise annähernd zeitgleich – drei wichtige Tote mit sehr unterschiedlichen Bestattungszeremonien nieder. Für einen der Toten errichteten sie innerhalb des langgezogenen Rechtecks eine Holzkammer von etwa 3 x 2m Grundfläche. Um diese Kammer herum fand der Ausgräber Friedrich Laux zu Beginn der 1970er-Jahre kleine Flächen rotverziegelten Lehms: die Spuren von Totenfeuern, die einst um die Hütte herum gebrannt haben.

Ein weiterer Toter lag unter einem kleinen Erdhügel von etwa 4m Durchmesser westlich der Grabkammer, ein dritter auf einer langgezogenen Steinpflasterung von 11 x 3m. Ihm hatte man als Beigaben ein kleines Steinbeil und eine herzförmige Pfeilspitze mitgegeben. Nach Ende der Feierlichkeiten verfüllten die Hinterbliebenen die Steinumfassung mit Erde. So entstand ein 60 m langer, 7m breiter und heute immer noch 1,5 m hoher Wall. Bei dem ersten gewaltigen Hünenbett sollte es nicht bleiben. Schon bald ächzten die Siedler wieder unter der schweren Last weiterer Findlinge. Das zweite Monument, heute als Grab I bekannt, bauten sie etwas gedrungener aus 76 Umfassungssteinen, von denen jeweils fünf die Schmalseiten bildeten. Diesmal errichteten sie auch die Grabkammer aus großen Findlingen: drei an den Langseiten, darüber je ein Deckstein, sowie einen an Kopf- und Fußende. 5,4 x 3,6 m misst das so entstandene Totenhaus. Auch den Boden der Kammer bereiteten sie sorgfältig vor. Über eine Pflasterung aus kopfgroßen Feldsteinen legten sie ranitsplitter, zum Teil durchsetzt mit verbranntem Feuerstein, und versiegelten den Belag mit einer Lehmschicht. Zwei Tote betteten sie in die Steinkammer und stellten ihnen für das Jenseits fünf Tongefäße zwischen die Köpfe: zwei charakteristische Trichterbecher, zwei reguläre Tassen und eine Tasse mit einem hohen Bandhenkel. Pfeilspitzen und ein Beil vervollständigten das Ensemble. Am Ende häuften die Hinterbliebenen wieder Erde über die Anlage, das Hünenbett misst heute noch 45 mal 6,5 bis 7m und ist etwa 1,5 m hoch.

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