Archäologen legen 900 Jahre Lokalgeschichte frei

Archäologen arbeiten an der Vorbereitung Großbritanniens auf HS2, das neue Rückgrat des nationalen Verkehrsnetzes. Sie haben nun damit begonnen, fast 900 Jahre Lokalgeschichte in der St Mary’s Church in Stoke Mandeville, Buckinghamshire, freizulegen.

Ausgrabung in Stoke Mandeville. Hier wird Lokalgeschichte freigelegt.
Archäologen arbeiten an der Ausgrabung der St. Mary’s Church, Stoke Mandeville. Credits: HS2 Ltd.

Vom Zentralbau zur baufälligen Ruine

Die alte St. Mary’s Church in Stoke Mandeville wurde 1080 n. Chr. erbaut, kurz nachdem die Normannen das sächsische England eroberten. Die Kirche wurde anschließend im 13., 14. und 17. Jahrhundert renoviert und spielte eine zentrale Rolle in der Gemeinde. Deshalb wurde sie mit verschiedenen Erweiterungen und dem Bau eines Glockenturms aus Backstein ausgestattet. Der Standort liegt auf der Trasse der neuen HS2-Strecke und wird deshalb von einem Team von LP-Archaeology in Zusammenarbeit mit dem HS2-Bauunternehmen Fusion-JV vorsichtig abgetragen.

Als schließlich in den 1880er Jahren eine neue Kirche näher am Dorfzentrum gebaut wurde, wurde das Gebäude verlassen und verfiel. Lokalen Berichten zufolge starb in den 1930er Jahren ein Kind durch herabfallendes Mauerwerk. Weshalb 1966 die Gemeinde das Gebäude als so gefährlich eingestufte, dass man beschloss die Royal Engineers mit Abriss zu beauftragen. Im Laufe der nächsten 50 Jahre überwucherten Pflanzen der verbliebene Schutthaufen von der Vegetation, weswegen er verschmolz mit dem umliegenden Grün verschmolz. Sodass Neuankömmlinge in der Gegend möglicherweise nichts von der Existenz des Kirchengebäudes dort wussten.

Der Standort von St. Mary’s ist einzigartig und das HS2-Projekt bietet somit eine seltene Gelegenheit, die Geschichte dieses Gebäudes auszugraben und zu verstehen, wie sich seine Nutzung und Bedeutung im Laufe der Zeit veränderte und was es für die Gemeinde von Stoke Mandeville bedeutete. Der Friedhof von St. Mary’s wurde 900 Jahre lang genutzt, wobei die letzte aufgezeichnete Beisetzung im Jahr 1908 stattfand. Das 40-köpfige Archäologenteam, das auf dem Gelände arbeitet, wird außerdem in der Lage sein, ein Bild von der Rolle von St. Mary’s in der lokalen Gemeinde zu zeichnen, von seiner Errichtung im 11. Jahrhundert bis zu seinem Niedergang im späten 19. Jahrhundert.

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Bollwerke, Bastionen und Bombarden

Lange Zeit genügten einfache Ringmauern, um die mittelalterlichen Städte und Burgen zu schützen. Doch spätestens ab dem 15. Jh. stellten Schießpulver und Feuerwaffen neue Herausforderungen an das Befestigungswesen. Es entstanden völlig neue Festungsanlagen, die auf die Anforderungen der modernen Waffentechnik abgestimmt waren.

Vorsichtiges Freilegen

Helen Wass, Leiterin des Bereichs Kulturerbe bei HS2 Ltd. sagte: „Das beispiellose archäologische Programm von HS2 ist in vollem Gange und der Beginn der Arbeiten in St. Mary’s bietet den Archäologen eine außergewöhnliche Gelegenheit, die Lokalgeschichte der Gemeinde von Stoke Mandeville über einen solchen Zeitraum hinweg aufzudecken und zu beleuchten.

„Alle freigelegten Artefakte und menschlichen Überreste werden mit Würde, Sorgfalt und Respekt behandelt und unsere Entdeckungen werden mit der Gemeinde durch Tage der offenen Tür und Expertenvorträge geteilt. Das Archäologieprogramm von HS2 ist bestrebt, sich mit allen Gemeinden auf lokaler und nationaler Ebene zu engagieren. Sodass wir die gewonnenen Informationen und Kenntnisse teilen und ein dauerhaftes archivarisches und fachliches Vermächtnis hinterlassen können.“

Im Jahr 2018 begann LP-Archaeology mit ersten Arbeiten, um den Schutthügel sorgfältig auseinanderzunehmen. Es folgte eine umfassende Reihe von archäologischen Ausgrabungen, Untersuchungen und Bauaufnahmen, die gut erhaltene Mauern und strukturelle Merkmale der Kirche zum Vorschein brachten. Im Oktober letzten Jahres enthüllte HS2, dass ungewöhnliche Steinritzungen, mittelalterliche Graffiti und andere Markierungen gefunden wurden, wobei die Frage aufgeworfen wurde, ob es sich um Sonnenuhren oder Hexenzeichen handelt.

Einblicke in die Lokalgeschichte

Anfang 2021 begannen die Arbeiten an der letzten Phase der Ausgrabungen auf dem Gelände. Eine große „Zelt“-Struktur wurde über der gesamten Kirche und dem Kirchhof errichtet, um sie vor den Elementen zu schützen und eine stabile Umgebung für die Ausgrabungen zu schaffen. Diese Abdeckung hilft den Archäologen auch, den dort begrabenen Menschen die Würde, die Sorgfalt und den Respekt zu geben, den sie verdienen. Abschließend wird in den nächsten sechs Monaten ein engagiertes Team von Archäologen mit Unterstützung von Ingenieuren die restliche Struktur der Kirche entfernen und alle auf dem Kirchhof begrabenen Personen ausgraben. Es wird etwa 3.000 Bestattungen ausgegangen. Bevor die Arbeiten auf dem Friedhof begannen, wurde eine virtuelle Segnung durch den Bischof von Buckingham vorgenommen. Alle sterblichen Überreste werden an einem von HS2 zu bestimmenden Ort beigesetzt, wobei ein speziell angefertigtes Denkmal die Stelle markiert.

Dr. Rachel Wood, Projektarchäologin für Fusion JV, sagte: „Die Ausgrabung der mittelalterlichen Kirche St. Mary’s wird einen echten Einblick in das Leben in Stoke Mandeville über neun Jahrhunderte hinweg und somit in die Lokalgeschichte geben. Man wird sich wieder an die dort Begrabenen erinnern und das Leben, das sie über 900 Jahre lang führten, verstehen. Der beste Weg, die Toten zu ehren, ist, ihre Geschichten zu verstehen und wie sie ihr Leben gelebt haben. Letztendlich ist es das, was die Arbeiten auf dem Gelände der alten St. Mary’s Kirche tun werden, indem sie ein dauerhaftes Vermächtnis für die heutige Gemeinde von Stoke Mandeville schaffen.“

HS2 plant außerdem, die Entdeckungen und die Lokalgeschichte darüber, wie das Leben in Stoke Mandeville über einen Zeitraum von 900 Jahren aussah, in einer Reihe von Veranstaltungen und Expertenvorträgen in den kommenden Monaten zu präsentieren. Zudem stehen auf der Website HS2 in Buckinghamshire Videos zur dem Projekt zur Verfügung.

Nach Pressemeldung der HS2.

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