3D-Scans als nützliche Helfer der Paläoanthropologie

Foto Titelbild: 3D-gedrucktes Replikat des DNH 155-Schädels.

Im Bestreben nach Wissen sind destruktive Methoden im Bereich der Wissenschaft oftmals unvermeidlich – wie beispielsweise in der Archäologie und Paläoanthropologie. Denn zu einem tieferen Verständnis und Wissen von historischen Stätten gelangt nur, wer ihren Ursprüngen beispielsweise im Rahmen von Ausgrabungen auf den Grund geht. Unabhängig davon, wie sorgfältig diese Ausgrabungen durchgeführt werden, der Vorgang allein zerstört oft wichtige Hintergrundinformationen zu historischen Artefakten. Deshalb fasst die 3D-Scantechnologie seit neuestem auch in diesem Bereich Fuß und erstellt hochauflösende, dreidimensionale und digitale Aufzeichnungen.

Ausgrabungen digital begleiten

Das dreidimensionale Scannen bietet die Möglichkeit Objekte in verschiedensten Positionen und Stadien zu erfassen – ganz gleich, ob sie sich noch innerhalb des Erdreichs befinden, während des Ausgrabungsprozesses oder bei der Entfernung überschüssigen Sediments. Die 3D-Scantechnologie bietet die maximale Auflösung der Daten für das sogenannte Reverse Engineering und liefert wertvolle Informationen zur Kontextanalyse eines Objekts.

Vor etwa einem Jahr hatte ich die Gelegenheit Teil des Teams zu sein, das den DNH 155-Schädel entdeckte und rekonstruierte. Es handelte sich hierbei um einen gut erhaltenen zwei Millionen Jahre alten erwachsenen, männlichen Schädel, der die Mikroevolution bei einer frühen Menschenart dokumentiert. Der Fundort lag nördlich von Johannesburg in Südafrika, genauer gesagt bei Drimolen Main Quarry. Knapp eine Woche dauerte die Ausgrabung von DNH 155, denn der ursprüngliche Fundort war von einer nicht unbeträchtlichen Menge Sediment eingeschlossen. Während der Extraktion einzelner Stücke aus dem Sediment wurde der Schädel mit einem professionellen, handgeführten 3D-Scanner digitalisiert. Zum Schutz des Artefakts erstellte das Team im Vorfeld digitale Aufzeichnungen über die Position jedes einzelnen Schädelteils.

Dank digitaler Aufzeichnungen zu mehr Genauigkeit in der Rekonstruktion

Nach der Bergung aus dem Grund lag der Schädel in mehr als 300 Einzelteilen vor und führte zu einem nicht unerheblichen Rekonstruktionsaufwand. Einzelne Stücke konnten noch von Hand zusammengesetzt werden. Ab einem gewissen Punkt jedoch gab es zu viele Elemente, die aufgrund mangelhafter Kontaktpunkte und zerbrochener Umrisse nicht mehr angebracht werden konnten. In diesen Fällen wurde eine spezielle Software verwendet, wodurch die finale Position jedes einzelnen Teils ermittelt werden konnte. In Realität wurde das Gesicht von DNH 155 zwar nicht mit dem Rest des Schädels verbunden, dafür aber in digitaler Form. Die Teile zu kleben hätte ein zu hohes Risiko dargestellt und wahrscheinlich zu einer Beschädigung des Fossils geführt. Mit der Digitalisierung aller Bestandteile schaffte das Team ein hohes Maß an Genauigkeit, ohne den Gesamtzustand des Fossils zu gefährden.

Man kann guten Gewissens behaupten, dass die veröffentlichte Rekonstruktion des DNH 155-Schädels ohne den Einsatz des dreidimensionalen Scanners und der dazugehörigen Software nicht möglich gewesen wäre. Die digitale Version ist von unschätzbarem Wert für die Datenerfassung, denn schließlich kann man ein Fossil nicht zweimal ausgraben und rekonstruieren.

Nicht-invasive Messung

3D-Scannen bietet eine Vielzahl an Vorteilen für die Archäologie und Paläoanthropologie. So werden beispielsweise präzise, schnelle und berührungslose Messungen ermöglicht, die mit konventionellen Verfahren nicht umgesetzt werden können. Traditionelle Methoden verlassen sich noch immer auf Messschieber und Lineale, womit sie eine Beschädigung des Fossils riskieren. Diese Werkzeuge bestehen aus Metall oder Kunststoff und müssen zwangsläufig mit dem Objekt in Berührung kommen. Selbst wenn dadurch kein Schaden durch den Kontakt mit den Werkzeugen entsteht, liegen die Fossilien für eine endgültige Messung in oft kompromittierenden Positionen. Ich habe selbst schon zerkratzte und abgesplitterte Knochen und Zähne gesehen, die durch jahrelange Messungen mit Messschiebern entstanden sind. Mit den richtigen 3D-Instrumenten scannt man ein Fossil unzählige Male ohne jegliche Berührung und damit ohne Sorge vor einer etwaigen Beschädigung.

Über eine optimale Messung hinaus bieten 3D-Scans auch einen besseren Einblick in die Oberflächenmerkmale von Fossilien. Nach zwei Millionen Jahren im Boden sind Fossilien oft verfärbt und fleckig. Diese Färbungen verdecken oft darunter liegende anatomische Merkmale, die für spätere Analysen wichtig sind. Mit Hilfe einer zugehörigen Software ist es leicht den farblichen Faktor zu entfernen und nur die Geometrie zu betrachten. Dadurch sehen Forscher viele Aspekte der feinkörnigen Anatomie deutlicher und oft genauer als dies manuell am Originalobjekt möglich gewesen wäre.

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Zusammenarbeit und Ausbildung auch aus der Ferne möglich

Wenn ein Fossil menschlicher Vorfahren in Südafrika entdeckt wird, darf es aus rechtlichen Gründen nicht exportiert werden. Bei der Analyse des DNH 155-Schädels wurden die erfassten 3D-Daten anderer Fossilien, die sich in unterschiedlichen Teilen der Welt befinden, vergleichend herangezogen. Im Zuge dessen wurde ein digitaler Stammbaum erstellt, um die Verortung des Schädels in der menschlichen Historie zu bestimmen.

Dank digitaler Scans von fossilem Material verändern Wissenschaftler die Lehrmethode der Paläoanthropologie. So entstehen immer mehr digitale Aufzeichnungen und Lehrmaterialien, um sich so über die neuesten Entwicklungen in diesem Gebiet auf dem Laufenden zu halten. Mit der zunehmenden Verbreitung von Augmented Reality in Lehrsälen ist es mehr als wahrscheinlich, dass Studenten eines Tages Fossilien ausschließlich virtuell untersuchen und erforschen. 

Wissenschaftlicher Fortschritt braucht einheitliche Methoden

Es liegt an den Wissenschaftlern selbst, ihre Fossiliensammlungen und Archive zu digitalisieren und damit die Paläoanthropologie zukünftig weiter voranzubringen. Dafür braucht es einheitliche Methoden, um eine konsistente Datengrundlage zu schaffen, Forscher weltweit nutzen können. Leicht zugängliche, exakte digitale Erfassungen sind der Schlüssel zur Vereinheitlichung der Fossilien-Konservierung und damit zum exponentiellen Fortschritt in der Forschung auf diesem Gebiet.

| Jesse Martin

Bildnachweis: Alle Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der  La Trobe University

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