Königspfalz Tilleda

Eine Residenz auf Zeit – Königspfalz Tilleda

Von Leoni Hellmayr. Titelbild: Tilleda am Kyffhäuser Königspfalz. Zangentor der Vorburg von Osten, rechts Wachhäuser, alle Hochbauten rekonstruiert. Foto: akg / Schütze/Rodemann

Die mittelalterlichen Herrscher führten im wahrsten Sinne des Wortes ein »bewegtes« Leben: Statt von einer Hauptstadt aus zu regieren, mussten sie ständig unterwegs sein, um vor Ort den Zusammenhalt des Heiligen Römischen Reiches zu sichern. Doch wo kamen sie und ihr Tross auf den langen Reisen unter? Zum Beispiel auf der Königspfalz Tilleda am südlichen Harzrand.

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Es ist ein früher kalter Morgen. Der Nebel liegt wie eine klamme Decke auf der Landschaft, verhüllt alles, was abseits der Straße liegt. Nur die Silhouetten knorriger Bäume tauchen vereinzelt aus dem Dunst auf und verschwinden sogleich wieder. Die Straße führt in ein Dorf mit kleinen urigen Häusern. Von einem Parkplatz aus, unweit des Ortseingangs, geht es zu Fuß weiter, auf einer Treppe den Hügel hinauf. Kaum hat man, oben angekommen, ein modernes Kassenhäuschen durchlaufen, geht es im Freien wieder einige Stufen abwärts.

Sie führen gleichsam »1000 Jahre hinab in die Vergangenheit«, wie Museumsleiter Michael Dapper auf seinen Führungen zu sagen pflegt. Und tatsächlich, der Besucher steht plötzlich vor einem Tor mit einem hohen Turm, flankiert von den Überresten einer Steinmauer, beides ganz offensichtlich aus der Zeit gefallen. Es ist der Eingang, den einst auch der mittelalterliche Herrscher mit seinem Tross durchschritt – auf dem Weg zur Königspfalz.

Niemals überbaut

Die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches mussten mobil sein, sie herrschten schließlich über ein riesiges Gebiet, das in seiner größten Ausdehnung das gesamte heutige Mittel- und große Teile Südeuropas umfasste. Statt kontinuierlich von einer Hauptstadt aus zu regieren, reisten sie umher und zeigten Präsenz vor Ort. Nur auf diese Weise konnten sie persönliche Beziehungen pflegen und ihre Vasallen kontrollieren. Neben Bischofssitzen, Reichsklöstern und -städten dienten ihnen als Reisestationen vor allem Pfalzen – Stützpunkte, die eigens für diesen Zweck errichtet worden waren. In erster Linie handelte es sich um größere Gutshöfe mit genügend Unterkünften sowie Verpflegung für Herrscher und Gefolge, das oft mehrere Hundert Personen umfasste. Eine Pfalz musste aber auch geeignete Räumlichkeiten bieten, in denen der König oder Kaiser seine herrschaftlichen Aufgaben ausüben konnte. Dazu gehörten repräsentative Gebäude, in denen Amtshandlungen stattfanden und bedeutende Besucher empfangen wurden, sowie eine Kapelle oder Kirche, in der besondere kirchliche Feste gefeiert wurden.

Mit einer Fläche von insgesamt 5,6 ha gehörte Tilleda zwar zu den kleineren, politisch eher unbedeutenden Pfalzen, stellt für die heutige Forschung dennoch einen einzigartigen und dar – denn sie wurde nach ihrem Niedergang niemals überbaut. So konnten Archäologen das einstige Areal zwischen den Jahren 1958 und 1979 vollständig ausgraben, mit den Fundamenten von mehreren Hundert Gebäuden. Wesentliche Teile der Festung sowie die Wirtschafts- und Repräsentationsbauten aus dem 10. bis 12. Jh. wurden am Originalstandort rekonstruiert.

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In und um die Königspfalz Tilleda gibt es viel zu entdecken. Hinweise auf weitere lohnenswerte Ziele in der unmittelbaren Umgebung in der AiD 3/21.

Ein Rundgang mit herrlicher Aussicht

Der Nebel hat sich mittlerweile aufgelöst und die Sonne strahlt herab von einem klaren blauen Himmel. Aus dem Tal klingen die einsamen Schläge einer einzelnen Glocke der Dorfkirche. Abgesehen davon und von dem kräftigen Muhen einiger Rinder auf einer nahegelegenen Weide umgibt den Besucher eine friedliche Stille – und eine herrliche Aussicht. Der Blick reicht über die Goldene Aue hin bis zum Harz. Südwestlich wird die Königspfalz vom Kyffhäuser überragt, auf dem das für diese Region so charakteristische Kyffhäuser-Denkmal thront.

Der Rundgang durch das Freilichtmuseum führt zunächst durch die ehemalige Vorburg. Sie unterschied sich kaum von einem gewöhnlichen mittelalterlichen Dorf mit Scheunen, Werkstätten und Wohngebäuden. Die Menschen, die hier lebten, stellten den Unterhalt der Pfalz sicher.

Vorbei an mehreren kleinen rekons truierten Häusern führt der Weg zu einem Haus, das geradezu aus dem Rahmen fällt: Mit 30 m Länge scheint es überdimensional groß. Die Archäologen waren an dieser Stelle auf die Überreste einer ehemaligen Leinenweberei gestoßen. In dem Haus stehen verschiedene Typen von Webstühlen, mit denen hochwertige Stoffe hergestellt werden können. Abgesehen von der Textilproduktion gab es in der Pfalz noch weitere Gewerke wie Drechsler und Schmiede.

Gebäudereihe der Kernburg und Kyffhäuser.
Gebäudereihe der Kernburg und Kyffhäuser. Foto: akg-images / Bildarchiv Monheim Aufnahmeformat / Filmsize: 4,5 × 6 cm

Hinter der Weberei liegen auf der Wiese seltsam anmutende Objekte verstreut: Kräne, Gerüste, Brennöfen, wie sie im Mittelalter verwendet wurden. Der Ausstellungsbereich der Bautechnik ist vor allem für die jungen Besucher der Schulklassen spannend: Hier können Schüler die Gesetze der Physik beispielsweise beim Einsatz des Krans lernen. Ob die Herstellung von Kleber aus Harz und Mistelbeeren, Bogenschießen, Brotbacken oder Bronzeschmelzen – das pädagogische Angebot des Freilichtmuseums ist sehr vielseitig gestaltet. Auch die sportliche Betätigung kommt nicht zu kurz, wenn die Schüler für den sogenannten Rammbock-Führerschein mit geeinten Kräften die Belagerungswaffe
im Slalom über die Wiese schieben müssen.

Wie die Bewohner der Pfalz Tilleda lebten, kann der Besucher in einem rekonstrustierten Wohnhaus des 11. Jh. nachvollziehen. Ganz aus Holz errichtet, besteht es innen aus einem einzigen Zimmer, das zugleich als Schlafraum, Wohnbereich und Küche diente. Über der Feuerstelle wurde nicht nur gekocht, sondern sicherlich auch Fisch oder Fleisch geräuchert, um es für die Wintermonate haltbar zu machen. An den Wänden hängen allerlei Geräte, darunter Pflanzhölzer und ein Quirl, aus Ästen geschnitzt. Ein kleines mit Stroh gefüttertes
Kinderbettchen schwebt an zwei Seilen von der Decke herab. Die Raumverhältnisse, das spürt man hier drin, waren relativ eng und bescheiden, dennoch irgendwie auch behaglich; sie garantierten vor allem in der kalten Jahreszeit den Bewohnern die lebensnotwendige Wärme.

Heutzutage wird dieses Haus zumindest zeitweilig bewohnt, wenn Mitglieder von Gruppen aus dem Bereich des Living History in mittelalterliche Tracht schlüpfen und für ein Wochenende auf der Königspfalz leben.

In der Nähe des Wohnhauses liegt ein Grubenhaus. Während der Grabungen entdeckten die Archäologen diesen Gebäudetyp ganz besonders häufig. Der Aufwand für die Errichtung eines solchen Hauses war vergleichsweise gering: Eine rechteckige Grube ausgraben, ein Dach aus Stroh oder Reet darüber, dessen untere Enden auf dem Erdboden aufliegen, zwei Wände an den Giebelseiten sowie eine Tür – fertig.

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»Finsteres Mittelalter« – ein Klischee wird widerlegt

Viele assoziieren mit dem Mittelalter eine »dunkle« Ära, in der Fortschritt quasi nicht existierte und in der es äußerst brutal zuging – eine Zeit, die von Armut und Schmutz geprägt gewesen sei. Kaum eine andere Epoche hat mit so vielen Vorurteilen zu kämpfen. Freilichtmuseen wie die Königspfalz Tilleda leisten einen großen Beitrag darin, mit solchen Klischees aufzuräumen.

Hier wird den Besuchern ein authentisches Bild jener Epoche präsentiert, das sich auf einer soliden Basis aus archäologischen Entdeckungen und historischen Überlieferungen stützt. Allein schon auf dem Weg über das großflächige Areal und beim »Reinspicken« in die rekonstruierten Gebäude können sie sich einen eigenen Eindruck vom Mittelalter machen, das kaum etwas mit den überholten Bildern des angeblich so »finsteren« Zeitalters zu tun hat.

Gerade auch die Behauptung, die Menschen des Mittelalters hätten auf Sauberkeit keinen Wert gelegt, konnte durch Ausgrabungen an anderen Orten bereits widerlegt werden. So sprechen frühmittelalterliche Grabbeigaben wie Fingernagelschneider, Kämme und sogar Ohrlöffel für das genaue Gegenteil. Um zu zeigen, dass Hygiene ein durchaus wichtiges Thema in jener Zeit war, plant Michael Dapper, in geraumer Zukunft ein neues Projekt auf der Pfalz umzusetzen: den Bau eines mittelalterlichen Badehauses. Erst im Spätmittelalter,
beginnend im 14. / 15. Jh., als sich in den Städten die Pest und andere Seuchen ausbreiteten und die Menschen anfingen, die Badstuben zu meiden, endete das rege Treiben in den Waschzubern.

Unterwegs auf dem Museumsgelände duftet es nach frischem gemähtem Gras; ein Mitarbeiter des Museums läuft mit einer Sense über das Gelände und mäht die ausgedehnten Wiesen. Aus einer anderen Richtung hört man Hämmern: Zwei Männer werkeln an einem kleinen Häuschen, das auf sechs Stelzen steht. Das Holz der Wände ist hell und ohne Witterungsspuren, an der Spitze der beiden Giebel ragen hübsch geformte Wendenknüppel in die Höhe – eine besondere Form von Giebelschmuck. Bei dem neuen Bauwerk
handelt es sich um einen Getreidespeicher, erklärt Michael Dapper. Um die Stelzen des Häuschens sind Holzringe befestigt, die kleine Leiter für den Eingang hängt weit oben an einer Außenwand – beides Maßnahmen, mit denen die Menschen damals ihre Vorräte vor Mäusen und anderem Kleingetier schützten.

Fußbodenheizung für den Herrscher

Auf dem bisherigen Rundgang konnte der Besucher noch keinen Blick auf das eigentliche Herzstück der Pfalz werfen, denn es liegt gut verborgen hinter mehreren hohen Wällen. Umso größer ist die Überraschung, wenn man auf dem langen geradlinigen Weg diese Wälle passiert und durch ein großes Tor schließlich in die Hauptburg eintritt.
Mit einer Fläche von 190 × 128 m ist sie sehr weitläufig und bot einst mehreren imposanten Gebäuden genügend Platz. Hier hielt der Herrscher während seiner Zeit auf der Pfalz Hof: Obwohl er für gewöhnlich nicht länger als zwei oder drei Wochen blieb, wirken die Überreste der Hauptburg alles andere als für einen nur so kurzen Aufenthalt konzipiert. Die Archäologen legten die Fundamente zweier Wohntürme, einer Kirche sowie einer Königshalle frei. Die Wohntürme waren aus Stein errichtet und weiß verputzt; aus dem Vergleich mit ähnlichen Funden an anderen Orten weiß man, dass solche Türme bis zu 20 m hoch sein konnten. An der Spornspitze errichtet, dürften sie bereits aus weiter Entfernung beeindruckend gewirkt haben. Auf Komfort mussten der König und seine Familie nicht verzichten: Die Archäologen fanden sogar die Überreste einer Fußbodenheizung.
Rechts vor den Mauerresten der Wohntürme liegen die Fundamente eines weiteren Gebäudes, das offenbar sehr lang war. Die halbkreisförmigen Mauerreste an einem der Enden geben dem Besucher einen recht eindeutigen Hinweis darauf, wo er gerade steht: vor den Überresten der Pfalzkirche, die sowohl mit einer für Gotteshäuser typischen Apsis als auch Nebenaltären bestückt war und sicherlich viele Dorfkirchen an Größe übertraf.

Ab dem 11. Jh. wurde um die Kirche herum ein Friedhof angelegt mit einst etwa 450 Bestattungen – die Skelette von zwei Verstorbenen, die hier begraben worden waren, sind in den Ausstellungsräumen des Museums in Glasvitrinen aufgebahrt. Gegenüber der Kirche lag die Königshalle. Ihre einstigen Ausmaße sind heute durch Holzpfosten markiert. Offizielle Empfänge, Amtshandlungen und Versammlungen dürften hier stattgefunden haben. Der archäologische Befund lässt zusammen mit historischen Bildern und Vergleichsbeispielen darauf schließen, dass es sich um einen gewaltigen Bau handelte, der komplett aus Holz errichtet war.

Die Könige und Kaiser des Mittelalters kamen viel herum. So hat Karl der Große auf all seinen Dienstreisen zusammengenommen schätzungsweise 120 000 km zurückgelegt.
Bei Heinrich VI. errechneten Wissenschaftler rund 4000 km in einem einzigen Jahr. Reisekönigtum war ab der fränkischen Zeit die übliche Form, Herrschaft auszuüben. Kaum vorstellbar, welchen Aufwand und welche Anstrengungen es erforderte, mit einem großen Gefolge und zu Pferd durch das Land zu ziehen und dabei jeglichem Wetter trotzen zu
müssen.

Auf dem Rundgang durch das Freilichtmuseum wird anschaulich gezeigt, dass eine solche Reisestation wie die Königspfalz Tilleda sehr viel mehr Funktionen zu erfüllen hatte, als dem König während seiner Durchreise lediglich »ein Dach über dem Kopf« zu bieten. Ihre Infrastruktur, ihre Bauten, der ganze Betrieb der Pfalz war so beschaffen, dass der Herrscher jederzeit hierherkommen, uneingeschränkt regieren sowie sich angemessen präsentieren konnte – und dass die wirtschaftlichen Notwendigkeiten seines Hofes gestillt werden konnten. In Kriegszeiten diente sie zudem als Festung, in der die Heere des Königs lagerten. Die Pfalz war vollständig ausgestattet, um alle Bedürfnisse eines Königshofes zu erfüllen – gleich einem Herrschaftssitz auf Zeit.

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