Ein bronzezeitliches Gräberfeld in Ungarn

Eine am 28. Juli 2021 in der Open-Access-Zeitschrift PLOS ONE veröffentlichte Studie über die Urnengräber von Szigetszentmiklós-Ürgehegy  von Claudio Cavazzuti von der Universität Bologna (Italien) und der Durham University (Großbritannien) und Kollegen, zeigt, dass sie eine Fülle von Informationen über eine hochrangige Frau und die bronzezeitliche Vatya-Kultur aus dem heutigen Ungarn liefern.

Links: Knochensammlung aus der Bestattung Nr. 241a (erwachsene weibliche Person). Rechts: Knochen, die den beiden Föten (Nr. 241b und 241c) zugeordnet werden können (Cavazzuti et al, 2021, PLOS ONE [CC-BY 4.0, https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/]).

Die Menschen der Vatya-Kultur, die sich während der Früh- und Mittelbronzezeit (ca. 2200–1450 v. Chr.) im heutigen Ungarn befand, pflegten die Verstorbenen einzuäschern, was die Analyse der menschlichen Überreste aus bioarchäologischer Sicht erschwert. In der aktuellen Studie setzten die Autoren neue osteologische Probenahmestrategien ein, um mehr über die Menschen zu erfahren, welche auf dem Urnenfriedhof von Szigetszentmiklós-Ürgehegy, einem der größten mittelbronzezeitlichen Urnenfriedhöfe in Zentralungarn, bestattet wurden. Cavazzuti und Kollegen analysierten menschliches Gewebe aus 29 Gräbern (drei Körper- und 26 Urnenbestattungen) und wendeten Strontiumisotopen-Vergleichsverfahren an, um zu prüfen, ob die beprobten Personen aus dem geografischen Gebiet stammten. Die meisten der untersuchten Gräber enthielten die Überreste einer einzelnen Person und einfache Grabbeigaben aus Keramik oder Bronze. Grab 241 war jedoch für die Forscher von besonderem Interesse: Dieses Grab enthielt eine Urne mit den verbrannten Überresten einer erwachsenen Frau und zwei Föten, die mit prestigeträchtigen Grabbeigaben beigesetzt wurden, darunter ein goldener Haarring, ein bronzener Halsring und zwei Haarnadelschmuckstücke aus Knochen.

Grab 241

Die Autoren gehen davon aus, dass die Frau in Grab 241 an den Komplikationen bei der Geburt der Zwillinge gestorben ist. Ihre Überreste deuten darauf hin, dass sie zum Zeitpunkt ihres Todes 25 bis 35 Jahre alt war. Die Überreste wurden nach der Kremation besonders sorgfältig gesammelt, da ihr Grab ein um 50 Prozent höheres Knochengewicht aufwies als das durchschnittlich beprobte Grab. Die Strontiumanalyse ergab außerdem, dass sie wahrscheinlich anderswo geboren wurde und im frühen Jugendalter, zwischen 8 und 13 Jahren, nach Szigetszentmiklós zog. Eine weitere erwachsene Frau schien ebenfalls nicht aus Szigetszentmiklós zu stammen, wobei die erwachsenen Frauen im Allgemeinen eine vielfältigere Strontium-Isotopenzusammensetzung aufwiesen als die erwachsenen Männer, deren Isotope in einem besonders engen Bereich konzentriert waren – noch enger als die der in der Studie analysierten Kinder.

Grabbeigaben aus der Bestattung Nr. 241: 1. bronzener Halsring (Ösenring); 2. goldener Haarring (Noppenring)
Grabbeigaben aus der Bestattung Nr. 241: 1. bronzener Halsring (Ösenring); 2. goldener Haarring (Noppenring) (Cavazzuti et al, 2021, PLOS ONE [CC-BY 4.0, https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/]).

Die anderen Gräber

Aufgrund des schlechten Erhaltungszustandes der drei Körperbestattungen konnten die Autoren keine Geschlechtsbestimmung durchführen, sondern lediglich bestätigen, dass es sich um Erwachsene handelte. Von den 26 kremierten Personen schienen sieben erwachsene Männer, 11 erwachsene Frauen und zwei Erwachsene zu sein, deren Geschlecht nicht bestimmt werden konnte. Es wurden auch Überreste von Kindern gefunden: zwei Personen im Alter von 5 bis 10 Jahren und vier Individuen im Alter von 2 bis 5 Jahren. Die jüngsten stellen die Zwillingsföten dar, die mit der erwachsenen Frau in Grab 241 begraben wurden. Diese waren etwa 28 bis 32 Schwangerschaftswochen alt.

Die Autoren stellen fest, dass ihre Ergebnisse auf dem Szigetszentmiklós-Urnenfeld die These untermauern, dass Frauen, insbesondere von hohem Rang, im bronzezeitlichen Mitteleuropa häufig außerhalb ihrer unmittelbaren Gruppe heirateten. Außerdem zeigt sich das Potenzial von Strontium-Isotopen-Analysen auch für kremierte Überreste.  Die Autoren fügen hinzu: „Dank eines breiten Spektrums neuer bioarchäologischer Methoden, Techniken und Probenahmestrategien ist es heute möglich, die Lebensgeschichte von kremierten Menschen der Bronzezeit zu rekonstruieren. In diesem Fall untersuchen die Autoren die Bewegungen und tragischen Ereignisse im Leben einer hochrangigen Frau, die vor 4000 Jahren entlang der Donau im Gebiet des heutigen Ungarn angesiedelt war.“

Citation: Cavazzuti C, Hajdu T, Lugli F, Sperduti A, Vicze M, Horváth A, et al. (2021) Human mobility in a Bronze Age Vatya ‚urnfield‘ and the life history of a high-status woman. PLoS ONE 16(7): e0254360. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0254360

Nach Pressemitteilung von PLOS one.

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