Luftbild des römischen Theaters in Mainz

Mogontiacum – Mainz: Mit dem D-Zug in die Römerzeit

Von Karen Allihn; Titelbild: Römisches Theater Mainz. Luftbild von Nordosten. Foto: akg-images / Alfons Rath

»Wenn einer in Mainz eine Grube gräbt, fällt bekanntlich ein Römerschiff heraus.« Dieser Satz machte 1981 / 82 während der Ausgrabung fünf antiker Kriegsschiffe die Runde. Doch Mogontiacum, in dessen Mauern später eine mächtige mittelalterliche Metropole heranwuchs, hat noch viel mehr zu bieten, und ständig kommt Neues hinzu. Eine ­Einladung zu einer Zeitreise.


Peitschen knallen, Hufe klappern, Räder knirschen: Ein Fuhrwerk rollt heran, passiert das Stadttor und fährt in westliche Richtung davon. Vielleicht hat es am Morgen Gemüse aus dem Umland nach Mogontiacum gebracht, vielleicht war es mit Weinfässern beladen? Die Räder mit genormter Spurbreite passen genau in die Ausfräsungen der Torschwelle, die in dem bis in Sockelhöhe erhaltenen spätrömischen Tor auf dem Mainzer Kästrich, einem Hochplateau ima Westen der Stadt, die Zeiten überdauert hat.

Hier, hoch über der Rheinniederung, soll die Zeitreise beginnen. Liegt doch an dieser strategisch günstigen Stelle die Keimzelle der antiken Stadt, wo Kaiser Augustus‘ Stiefsohn Drusus ein zunächst von Holz-Erde-Mauern geschütztes, 36 ha großes Kastell gründete, von dem aus er dann ab 12 v. Chr. zu seinen Feldzügen gen Osten aufbrach. Konnte es weit und breit einen günstigeren Platz für einen Militärstützpunkt geben, von dem aus sich das freie Germanien dem Römischen Reich einverleiben ließ? »Wenn man hier steht«, sagt Marion Witteyer, Leiterin der Außenstelle Mainz der Direktion Landesarchäologie, Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, »versteht man, warum die Römer diesen Platz gewählt haben«. Und tatsächlich: Von den vier neuzeitlichen Torbögen der modernen Bebauung schweift der Blick von der Geländekante über den mächtigen Strom hinweg nach Nordosten, bis zum Taunus samt Großem Feldberg. Das weithin sichtbare Lager ­signalisierte einen nicht geringen Machtanspruch.

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Vom Feldlager zur Metropole

Wie die spätantike, zur Abwehr germanischer Einfälle errichtete Stadtmauer, zu der das Tor mit seinen Spurrillen gehört, in Richtung Norden einst weiter verlief, verrät nach wenigen Schritten ein Blick auf den Alexanderturm. Ebenso wie große Teile der mittelalterlichen Stadtbefestigung, die Mainz bis zum Dreißigjährigen Krieg schützte, ist auch dieses trutzige ­Relikt auf römischen Fundamenten errichtet. Unterhalb des Militärlagers entwickelte sich, wie die »Mosaiksteine« jahrhundertelanger Forschung nahelegen, ­eine prosperierende, von Straßen durchzogene Metropole – mit Tempeln und Thermen, einfachen Wohnhäusern und Stadtvillen, Foren und Denkmälern, Handwerksbetrieben und Handelshäusern, kurz mit allem, was das römische Herz begehrte. Der »Ritterschlag« erfolgte um 85 n. Chr., als Kaiser Domitian Mogontiacum zur Hauptstadt der neuen Provinz Obergermanien (Germania superior) erhob.

Drusus allerdings konnte sich nicht lange an der schönen Aussicht freuen; er starb im Jahr 9 v. Chr. nach einem ­Reit­unfall. Für den überaus beliebten Feldherrn wurde ein riesiges Ehrenmal errichtet, das noch heute im Süden der Zitadelle, einer mächtigen Festung aus dem 17. Jh., etwa 20 m in die Höhe ragt. Derzeit allerdings ist von dem Kenotaph nicht viel zu sehen: Das Schild »Achtung Steinschlag«, das das bröckelnde Denkmal viele Jahre zierte, ist Gerüsten und einem Netz gewichen. Nach der Konservierung soll an der östlichen Ecke des Tumulus ein Stück der einstigen Steinverblendung rekonstruiert werden. Wie der Drusus- oder Eichelstein einmal ausgesehen haben könnte, zeigt in unmittelbarer Nachbarschaft das Stadthistorische Museum.

Auf reich bebilderten Übersichtstafeln wird hier die Mainzer Geschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart dargestellt: Nach verheerenden Germaneneinfällen zogen die Römer im 5. Jh. schließlich ab und überließen den Ort, in dem inzwischen ein Bischof residierte, seiner Zukunft; zunächst unter der fränkischen Dynastie der Merowinger. Gesiedelt wurde, wie derzeit eine Animation in der Ausstellung »Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht« im Landesmuseum anschaulich vor Augen führt, mitten zwischen den römischen Ruinen und zum Teil weiterhin im Schutz der spätantiken Stadtmauer. Der Verlauf dieses vielfach überformten Bauwerks ist an einigen Stellen – zwischen Eisen- und Holzturm über Holzstraße, Hopfengarten und Eisgrubweg vorbei am Gautor bis auf den Kästrich – auch heute noch nachzuvollziehen.

Doch zurück zu Drusus, der nicht allein mit der Errichtung eines Denkmals postume Verehrung erfuhr. Keine 350 m vom Kenotaph entfernt versammelten sich Jahr für Jahr Abordnungen der römischen Provinzen in einem gigantischen Bühnentheater, um seiner zu gedenken. Ein identitätsstiftender Wallfahrtsort der Eroberer? »Theater und Drususstein gehören inhaltlich zusammen«, ist Witteyer überzeugt. Das später vergessene, 1914 wiederentdeckte und von 1997 an – unter der Leitung von Witteyers verdienstvollem Vorgänger Gerd Rupprecht – ausgegrabene Theater mit seiner Zuschauertribüne von 116 m Durchmesser und der 42 m breiten Bühne bot Platz für etwa 10 000 Besucher und zählt zu den größten seiner Art nördlich der Alpen. Seine steinernen Überreste sind vom benachbarten Bahnhof, vom Zitadellenweg oberhalb der Anlage ebenso wie von den Fenstern vorüberbrausender Züge aus gut zu sehen.

Die Umrisse des beim Bahnhofs-Bau Ende 1884 durchschnittenen antiken Bühnenhauses zeichnen sich als ockerfarbene Pflasterung auf zwei Bahnsteigen ab. Gleichzeitig gewährt die antike Ruine von hier aus einen Einblick in zwei Prinzipien römischen Maurerhandwerks: Zwischen zwei außen glatten Schalungen stecken Bruchsteine; rote Ziegelschichten sorgen immer wieder für eine ordentliche Horizontale. Dass die Deutsche Bahn AG diese Station 2006 in »Römisches Theater« umbenannt hat, wertet Witteyer als »Bekenntnis zum römischen Erbe«. »Wo in Deutschland«, fragt die engagierte Archäologin, »fährt man mit dem Zug durch ein römisches Theater – und noch dazu durch ein so großes?«

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Europäische Verkehrsader seit 2000 Jahren

Der einst  weithin sichtbare Drususstein markiert den Beginn einer Reihe von Grabmälern, die die südliche Ausfallstraße der römischen Stadt säumten. Die gut 2,5 km lange via sepulcrum führte nach Weisenau, wo ein weiteres Militärlager samt ­Zivilsiedlung existierte. Einige der 280 in den Jahren 1982 bis 1992 freigelegten Bestattungen sind unter gläsernen Einhausungen in situ konserviert. Die Urnen und Umrandungen, Grablichter und Gläser, Becher und Bekrönungen lassen eine Geisteswelt erahnen, in der sich einheimische, keltische und italische Traditionen mischten. Wie zahlreiche Töpferöfen zeigen, siedelten sich entlang ­dieser Magistrale auch Handwerker an.

Am selben Platz, dessen Name an den ersten wissenschaftlichen Ausgräber von Mainz, Pater Joseph Fuchs (1732 – 1782), erinnert, ist auch ein Stück der ehemals 6 m breiten Römerstraße und des begleitenden Spitzgrabens zu sehen. Einer der in Weisenau Bestatteten, der Schiffer Blussus, hat es zu erheblichem Nachruhm gebracht: Der Grabstein, der ihn in selbstbewusster Haltung mit einem Geldbeutel in der Hand neben seiner Frau Menimane und Sohn Primus zeigt, rückt einen wesentlichen Grund für die so erfolgreiche Entwicklung Mogontiacums ins Bewusstsein: die Lage an einer zentralen europäischen Verkehrsader.

Museum für Antike Schiffahrt in Mainz, Darstellung eines Schiffes für den Weintransport.
Museum für Antike Schiffahrt in Mainz, Darstellung eines Schiffes für den Weintransport. Foto: akg-images / Alfons Rath

So hat Blussus im 1994 eröffneten ­Museum für Antike Schifffahrt auch einen Ehrenplatz. Hinter ihm sind die Überreste von fünf Patrouillenschiffen aus dem 4. Jh. n. Chr. ausgestellt, die 1981 / 82 bei Erdarbeiten für den Erweiterungsbau des Hilton-Hotels entdeckt wurden. Zwei Nachbauten in Originalgröße vermitteln anschaulich, wie die römische Reichsgrenze in Mogontiacum gesichert wurde. Direkt an der Fundstelle erinnert die Nachbildung eines antiken Schiffsvorderteils an die spektakuläre Bergung. Schwer vorstellbar: Wo heute Straßenzüge verlaufen, befand sich vor 2000 Jahren die Uferlinie. »Den Rhein«, sagt Witteyer, »muss man sich zu römischer Zeit ganz anders vorstellen. Das Ufer war eine dynamische Angelegenheit.« Denn der noch mäandernde Strom hinterließ, etwa bei Hochwasser im Frühjahr, gewaltige Anschwemmungen. Zusätzlich wurde das Ufer im 19. Jh. durch Aufschüttung ein gutes Stück Richtung Osten verschoben. Im Lauf dieses Jahres soll dann in Mainz ein ganzes Museum »verschoben« werden: Das 2017 geschlossene Römisch-Germanische Zentralmuseum zieht vom Kurfürstlichen Schloss in das neue Archäologische Zentrum direkt neben dem Museum für Antike Schifffahrt.

Zahlreiche Relikte der antiken Stadt, die die Zeitläufte überstanden haben, verdanken ihre Erhaltung einem Mangel: In der näheren Umgebung gibt es kein abbauwürdiges Gestein. Also wurde jeder Qualitätsquader wiederverwendet – wie z. B. für den Bau der spätantiken Stadtmauer Teile des nach seinem Stifter benannten Dativius-Victor-Bogens. Das später in einzelnen Fragmenten geborgene und wieder zusammengefügte Bauwerk, das wohl den Beginn einer von Säulengängen begleiteten Straße markierte, kündet von der Pracht der antiken Stadt. Eine Kopie ist am Ernst-Ludwig-Platz zu sehen; das Original steht in der Steinhalle des Landesmuseums.

Dieses Institut, an dessen Geschichte als kurfürstlicher Marstall ein goldglänzendes Pferd hoch über dem Eingang erinnert, besitzt mit mehr als 2000 Stücken eine der bedeutendsten Sammlungen ­römischer Steindenkmäler nördlich der ­Alpen. Ein herausragendes Exponat, die Große Jupitersäule, ist aktuell jedoch nicht im Landesmuseum zu besichtigen: Das gut 9 m hohe, nach der Rettung des Kaisers Nero vor einem Mordanschlag zwischen 63 und 67 n. Chr. errichtete »Staatsmonument, Vorbild für Hunderte anderer Jupitersäulen im ganzen Reich«, so Witteyer, wird restauriert. Auch seine Kopie, die vor dem Deutschhaus stand, ist verschwunden. Sie wurde vor Beginn der ­aktuellen Bauarbeiten in Sicherheit gebracht, soll aber später wieder aufgestellt werden.

Von Isis und Mater Magna zum ­Christengott

Die ihre Quaderummantelung beraubten Pfeilerkerne des Aquädukts hingegen, das die 12 000 auf dem wasserarmen Kästrich stationierten Soldaten mit kühlem Nass versorgte, stehen seit rund zwei Jahrtausenden am selben Ort. Mindestens 30 000 l sollen hier pro Tag vom Quellgebiet im heutigen Stadteil Finthen zum Legionslager geflossen sein – in überdachten Rinnen auf 30 m hohen Pfeilern. Wer im Zahlbachtal an der 600 m langen Reihe der 60 teils bis zu einer Höhe von 7 m erhaltenen Mauerresten vorübergeht, wird angesichts dieser technischen Höchstleistung von Ehrfurcht ergriffen.

Römersteine Mainz
Pfeiler des Aquädukts der römischen Wasserleitung, erbaut 1. Jh. n. Chr. in Mainz am Rhein. Foto: akg-images / Bildarchiv Steffens

Zu den spannendsten Entdeckungen der jüngeren Zeit gehört in Mainz ohne Zweifel ein Heiligtum für die Göttinnen Isis und Mater Magna. Dass heute direkt am Fundort ein facettenreicher Blick auf religiöse Kulte der Römerzeit möglich ist, verdankt die Nachwelt einer Bürgerinitiative bzw. dem Verein Römisches Mainz, der sich um die »Taberna archaeologica« kümmert. Im Halbdunkel wandert der Besucher auf gläsernen Stegen über die Grundmauern der Anlage, vorbei an Resten von Opfergaben wie Singvögel und Hähne, die hier verspeist worden sind, sowie an einigen der 300 an dieser Stelle geborgenen Öllampen, an Votivgaben und Bleitäfelchen mit eingeritzten Verwünschungen. Aus dem Off tönt die Stimme eines »Römers«, der damalige Riten beschreibt, und ab und zu werden die mächtigen Göttinnen in dieser alle Sinne ansprechenden Inszenierung in den Raum projiziert.

Ein Brunnen aus der Antike wurde hier noch in karolingischer Zeit benutzt. Derzeit stellt er eine Verbindung zu einer Sonderschau her, die im Isis-Heiligtum anhand neuer Grabungsergebnisse den Wandel der spätantiken zur karolingischen Stadt schildert. Einen einzigartigen Einblick in das frühmittelalterliche Zentrum rund um den Dom, das sich bis zum heutigen Landtag hinzog, gewährten außerdem  in der St. Johanniskirche eine vorbildlich aufbereitete Domgrabung. Jede Bauschicht wird genau erklärt; Spezialbrillen erlauben einen Blick in verschiedene Epochen. Mächtige Fundamente aus der Römerzeit lassen keinen Zweifel, dass es sich hier um eine der ältesten Kirchen Deutschlands handelt.

An das im Mittelalter überbaute Mogontiacum erinnern im modernen Stadtbild römische Hinterlassenschaften wie etwa zwei Weihealtäre für den Gott Mithras oder Reste einer Warmluftheizung. Auch in der Neustadt, am Dimesser Ort, wo seit Jahren großflächig gegraben wird und jüngst zwei wertvolle römische Statuen zum Vorschein kamen, würde Witteyer gern einen kleinen Blick in die Vergangenheit erhalten. Die Zeitreise jedoch findet erst einmal ihren Abschluss; am besten auf der anderen Seite des Flusses. Die einstige Römerbrücke, die bereits im 1. Jh. n. Chr. zum rechtsrheinischen Vorposten Kastel führte, überspannte etwa 30 m südlich der heutigen Querung den Fluss. Ihr fiktives Bild ist auf einer Bronzetafel unter dem westlichen Brückenkopf der Theodor-Heuss-Brücke zu sehen.

Dass Kastel seit 1945 zu Hessen gehört, schmerzt den echten Meenzer. Römisches ist hier gleichwohl zu entdecken – Meilensteine etwa oder Reste eines einst gut 20 m hohen Ehrenbogens, der genauso wie ein Militärlager innerhalb der modernen Bebauung markiert ist. Im Museum Castellum in einer Kaserne der einstigen Bundesfestung Mainz lassen sich die gesammelten Eindrücke vertiefen, bevor der Blick vielleicht von der idyllischen Bastion Schönborn am Ufer noch einmal über den Rhein zurück zum Goldenen Mainz schweift. 

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