Angelsächsische Kirche in Stoke Mandeville entdeckt

Archäologen, die am HS2-Projekt arbeiten, haben eine aufregende Entdeckung gemacht: Sie haben unter der Struktur der normannischen Kirche, die sie ausgraben, die Überreste einer angelsächsischen Kirche entdeckt. Das Team der St. Mary’s Old Church in Stoke Mandeville war von dem Fund begeistert und bezeichnete es als „wirklich bemerkenswert“, ein Bauwerk zu finden, das in einem solchen Ausmaß erhalten geblieben ist. Der Fundort liegt auf der Trasse der neuen HS2-Strecke und wird derzeit von einem Team von LP-Archaeology in Zusammenarbeit mit Fusion JV, dem Auftragnehmer der HS2-Bauarbeiten, sorgfältig untersucht.

In den vergangenen Monaten hat ein Team von über 40 Archäologen die normannische Kirche und den dazugehörigen Friedhof ausgegraben und untersucht. Die Kirche wurde auf einem hellgrauen, verdichteten Fundament errichtet, das von den Normannen angelegt wurde, so dass alle archäologischen Ablagerungen, die unter diesem Fundament gefunden werden, aus der Zeit vor der Normannenzeit stammen.

Das Team, das in St. Mary’s arbeitete, entdeckte Mauern aus Feuerstein, die unter den normannischen Schichten eine quadratische Struktur bildeten, die von einem kreisförmigen Grenzgraben umschlossen war, sowie eine kleine Anzahl dazugehöriger Gräber. Die Archäologen glauben, dass es sich um eine angelsächsische Kirche handelt.

Blick auf die Ausgrabungen in Stoke Mandeville. Zu sehen sind mehrere tiefe Schnitte, in denen Mitarbeiter gerade arbeiten. Die Ausgrabung wird von einer Dachkonstruktion vor dem Wetter geschützt.
Blick auf die Ausgrabung (Foto: HS2 Ltd).

Die Fundamente aus Feuerstein sind etwa 1 m breit, was darauf hindeutet, dass es sich um ein hohes Bauwerk gehandelt haben muss, auch wenn seine Grundfläche klein war.  Der Grundriss ähnelt dem einer noch vollständig erhaltenen sächsischen Kirche in Barton-upon-Humber, St. Peter’s.

 Dr. Rachel Wood, leitende Archäologin von Fusion JV, die die Arbeiten in Stoke Mandeville leitete, sagte: „Dies ist eine fantastische Entdeckung, auf deren Ausgrabung wir uns alle sehr freuen. Die Arbeiten in Old St Mary’s sind eine einzigartige archäologische Gelegenheit, eine mittelalterliche Pfarrkirche auszugraben, die über 900 Jahre lang für die örtliche Gemeinde von Bedeutung war. Sie gibt uns auch die Möglichkeit, mehr über die Gemeinde zu erfahren, die die Kirche nutzte, und ihr Leben zu verstehen. Dass wir dann unter der normannischen Kirche eine frühere Struktur finden, ist außergewöhnlich. Die Tatsache, dass so viel davon erhalten geblieben ist, einschließlich der Wände und sogar einiger Fußböden, wird viele Informationen über den Ort vor dem Bau der normannischen Kirche im Jahr 1080 n. Chr. liefern. Die Entdeckung dieser vornormannischen, möglicherweise sächsischen Kirche ist eine einmalige Chance für Archäologen und wird zu einem besseren Verständnis der Geschichte von Stoke Mandeville beitragen.“

Was die Entdeckung noch interessanter macht, sind die wiederverwendeten römischen Dachziegel in den Fundamenten des vornormannischen Bauwerks. Es gibt Hinweise auf eine nahegelegene römische Siedlung, so dass es möglich ist, dass die Materialien von einem früheren Bauwerk an einem anderen Ort wiederverwendet wurden, obwohl die Archäologen hoffen, dass Beweise für ein noch früheres Bauwerk gefunden werden könnten.

Helen Wass, Leiterin der Abteilung Kulturerbe bei HS2, sagte: „Wieder einmal hat unser umfangreiches Archäologieprogramm uns die Möglichkeit gegeben, mehr über die Geschichte Großbritanniens zu erfahren. Die Entdeckung einer vornormannischen Kirche in Stoke Mandeville ermöglicht es uns, uns ein klareres Bild davon zu machen, wie die Landschaft von Buckinghamshire vor über 1000 Jahren ausgesehen haben könnte. Alle gefundenen Artefakte und menschlichen Überreste werden mit Würde, Sorgfalt und Respekt behandelt, und unsere Entdeckungen werden im Rahmen von Tagen der offenen Tür und Expertenvorträgen mit der Bevölkerung geteilt. Das Archäologieprogramm von HS2 zielt darauf ab, mit allen Gemeinden auf lokaler und nationaler Ebene in Kontakt zu treten, um die gewonnenen Informationen und Kenntnisse weiterzugeben und ein dauerhaftes archivarisches und fachliches Erbe zu hinterlassen.“

Nach der normannischen Eroberung gab es in ganz England ein umfangreiches Kirchenbauprogramm, das von Pfarrkirchen bis hin zu den größeren Kathedralen der Städte reichte. Es war nicht ungewöhnlich, dass einige dieser Kirchen auf sächsischen Ruinen errichtet wurden – aber es ist selten, dass man die Gelegenheit hat, die Ruinen auf diese Weise auszugraben und zu untersuchen, da viele während des Bauprogramms zerstört wurden.

Bei der von den HS2-Archäologen ausgegrabenen Kirche handelte es sich ursprünglich um die St. Mary’s Church in Stoke Mandeville, die um 1080 n. Chr., also kurz nach der normannischen Eroberung, erbaut worden war. Sie wurde im 13., 14. und 17. Jahrhundert renoviert und spielte eine zentrale Rolle in der Gemeinde, die mit verschiedenen Erweiterungen und dem Bau eines Glockenturms aus Backstein ausgestattet wurde. In den 1880er Jahren wurde eine neue, näher am Dorfzentrum gelegene Kirche gebaut, woraufhin die normannische Kirche baufällig wurde und in den 1960er Jahren von den Royal Engineers abgerissen werden musste.

Comuterrekonstruktion der normannischen Kirche in Stoke Mandeville. Zu sehen ist ein dreischiffiges Kirchengebäude aus dunkelgrauem Stein und einem dunklen Dach. Die Dächer der Seitenschiffe sind rot und an ihren Längsseiten sind drei breite, massive Stützpfeiler aus rotem Stein angebracht. Oberhalb des Altarraums erhebt sich ein hoher, rechteckiger Turm mit einem gotischen Fenster, an dessen einer Ecke sich ein kleinerer, schmalerer Turm mit einem Kuppeldach anschließt. Beide sind aus dem gleichen roten Gestein wie die Stützpfeiler gebaut.
Computerrekonstruktion der wiederaufgebauten St. Mary’s Old Church in Stoke Mandeville im Oktober 2020 (Foto: HS2 Ltd).

An diesem einzigartigen Ort haben Archäologen die seltene Gelegenheit, die Geschichte dieses Gebäudes auszugraben und zu verstehen, wie sich seine Nutzung und Bedeutung im Laufe der Zeit veränderte und was es für die Gemeinde von Stoke Mandeville bedeutete. Die Entdeckung dieser Beweise für vornormannische, möglicherweise sächsische Aktivitäten auf dem Gelände ergänzt die 900 Jahre alte Geschichte, die das Team freizulegen erwartete.

Das Team hat auch die auf dem alten St.-Mary’s-Kirchhof bestattete Bevölkerung sorgfältig ausgegraben, um zu untersuchen, wie das Leben der Landbevölkerung während der Zeit, in der die normannische Kirche genutzt wurde, ausgesehen haben könnte. Es wurden Beweise für Bestattungspraktiken entdeckt, wie z. B. das Auflegen einer Salzplatte auf den Verstorbenen. Ähnliche Funde wurden von HS2-Archäologen bei der Ausgrabung einer städtischen Begräbnisstätte in Birmingham gemacht.

Ein weiterer ungewöhnlicher Fund in St. Mary’s war ein „Flohfänger“, der neben dem Kopf eines Mannes begraben wurde. Der „Flohfänger“ war ein kleiner Knochentopf, der einen Lappen mit Blut und etwas Honig enthielt. Die Flöhe auf der Perücke des Mannes wurden von dem Blut auf dem Lappen angezogen und blieben an dem Honig im Topf kleben.

Das Team in Stoke Mandeville hat bereits damit begonnen, die Ergebnisse der archäologischen Ausgrabung im Rahmen einer Reihe von Wochenenden der offenen Tür in einem Feldmuseum zu präsentieren, das auf dem Gelände der alten St. Mary’s Church eingerichtet wurde. Bislang haben fast 1300 Personen aus der örtlichen Bevölkerung das Museum besucht. Nach der Beteiligung von HS2 an den diesjährigen Tagen des offenen Denkmals wird am Samstag, den 25., und Sonntag, den 26. September, ein zusätzliches Wochenende der offenen Tür im Feldmuseum stattfinden. Die Besucher können einige neue Ausstellungsstücke besichtigen und mit den Archäologen über die Funde aus der Ausgrabung der vornormannischen Struktur sprechen.

Nach einer Pressemeldung der High Speed Two (HS2) Ltd

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