Knöcherne Textilmanufaktur vor 120.000 Jahren

Werkzeuge aus Knochen deuten auf die Herstellung von Kleidung vor 120.000 bis 90.000 Jahren hin

Ausgrabungen in der Contrebandiers-Höhle, Marokko.
Ausgrabungen in der Contrebandiers-Höhle, Marokko. © Emily Yuko Hallett 2009

Eine in iScience veröffentlichte Studie berichtet über mehr als 60 Werkzeuge aus Knochen und einem Werkzeug aus dem Zahn eines Wals. Die Werkzeuge wurden zuerst 2011 in der Contrebandiers-Höhle in Marokko entdeckt und gelten als Proxybeweise für die ältesten Kleidungsstücke in den bisherigen archäologischen Aufzeichnungen und damit für eine panafrikanische Entstehung komplexer Kulturen sowie spezialisierter Werkzeugfertigung.

Die Erfindung der Kleidung und die Entwicklung der dafür notwendigen Werkzeuge, gelten als Meilensteine in der Geschichte der Menschheit. Sie weisen nicht nur auf Fortschritte in der kulturellen und kognitiven Evolution hin, sondern waren nach Ansicht der Archäologen*innen auch entscheidend dafür, dass die frühen Menschen ihre Nische vom pleistozänen Afrika in neue Umgebungen mit neuen ökologischen Herausforderungen ausweiten konnten. Pelze und andere organische Materialien, die zur Herstellung von Kleidung verwendet wurden, bleiben jedoch nur sehr selten erhalten, weshalb über den Ursprung von Kleidung bislang wenig bekannt ist. Die aktuelle Studie, in der über eine Sammlung bearbeiteter Knochen berichtet wird, die in der Nähe der marokkanischen Atlantikküste gefunden wurde, liefert nun starke Anhaltspunkte für die Herstellung von Kleidung vor bereits 120.000 Jahren.

Als Teil ihrer Forschungsarbeiten am Institute of Human Origins der Arizona State University und der „Lise Meitner“ Pan-African Evolution Forschungsgruppe des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte, untersuchte Dr. Emily Hallet die Überreste von Wirbeltieren aus der Contrebandiers-Höhle mit einem Alter von ca. 120.000 bis 90.000 Jahren.

„Sowohl diese Zeit als auch dieser Ort waren für die frühen Mitglieder unserer Art entscheidend“, so Hallet. „Eigentlich war ich daran interessiert, die Ernährung und die Standortnische der Bewohner dieser Höhle zu untersuchen.“

Unter den knapp 12.000 Knochenfragmenten fand Hallet mehr als 60 tierische Knochen, die durch Menschen in Werkzeuge geformt wurden. Gleichzeitig identifizierte Hallet ein Muster von Schnittstellen auf den Knochen von Fleischfressern, was dafür spricht, dass die Höhlenbewohner diese für das Fell der Tiere häuteten.

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Hallett verglich die von ihr identifizierten Werkzeuge mit anderen archäologischen Funden und stellte fest, dass sie die gleichen Formen und Gebrauchsspuren aufwiesen wie die von anderen Forschern*innen beschriebenen Werkzeuge zur Lederverarbeitung.

„Diese Kombination von Fleischfresserknochen mit Häutungsspuren und Knochenwerkzeugen, die wahrscheinlich für die Pelzverarbeitung verwendet wurden, ist ein sehr aussagekräftiger Beleg für die früheste Kleidung in den archäologischen Aufzeichnungen“, so Hallett, „aber angesichts des Grades der Spezialisierung in dieser Ansammlung sind diese Werkzeuge wahrscheinlich Teil einer größeren Tradition mit früheren Beispielen, die noch nicht gefunden wurden.“

Versteckt unter den etlichen Knochenfragmenten befand sich außerdem die Spitze des Zahns eines Wales oder Delphins, der Spuren aufwies, die typisch für die eines Druckabschlags (pressure flaker) sind. Angesichts des Alters des Fundes handelt es sich damit um die früheste dokumentierte Nutzung eines Meeressäugerzahns durch den Menschen und um die einzigen nachgewiesenen Überreste eines Meeressäugers aus dem Pleistozän Nordafrikas.

„Die Knochenwerkzeuge aus der Contrebandiers-Höhle zeigen, dass Homo sapiens vor etwa 120.000 Jahren begann, die Verwendung von Knochen zur Herstellung von Werkzeugen zu intensivieren und sie für spezifische Aufgaben zu nutzen, einschließlich der Leder- und Fellverarbeitung“, fasst Hallett zusammen. „Diese Vielseitigkeit scheint die Wurzel unserer Spezies zu sein und keine Eigenschaft, die erst mit der Expansion nach Eurasien auftrat.“

Hallett hofft, künftig mit anderen Forschern*innen zusammenarbeiten zu können, um vergleichbare Häutungsmuster in den von ihnen untersuchten Gruppen zu identifizieren und ein besseres Verständnis für die Ursprünge und die Verbreitung dieses Verhaltens zu gewinnen.

Nach Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte

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