Neandertaler veränderten Ökosysteme vor 125.000 Jahren

Untersuchungen in Neumark-Nord bei Halle zeigen: Neandertaler nutzten schon vor 125.000 Jahren Feuer, um Waldgebiete offen zu halten, und hatten damit einen weit größeren Einfluss auf ihre lokale Umgebung als bislang angenommen. Die interdisziplinäre Studie von Archäologen der Universität Leiden in Zusammenarbeit mit Forschenden der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) und des Römisch-Germanischen Zentralmuseums, Leibniz-Forschungsinstitut für Archäologie (RGZM) wurde jetzt im Wissenschaftsmagazin Science Advances veröffentlicht.

Ausgrabung einer 125.000 Jahre alten archäologischen Stätte in Neumark-Nord 2 bei Halle.
Ausgrabung einer 125.000 Jahre alten archäologischen Stätte in Neumark-Nord 2 bei Halle, Deutschland, Sommer 2007. Bei der Ausgrabung dieser speziellen Seeuferstätte, die in feinkörnigen Wasserablagerungen gut erhalten ist, wurden die mit Schnitten versehenen Überreste von Hunderten von großen Säugetieren, vor allem Pferden und Boviden, sowie etwa 20.000 Steinartefakte gefunden. Ausgrabungen des Forschungszentrums MONREPOS (Deutschland) und der Fakultät für Archäologie der Universität Leiden (Niederlande), unterstützt vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (Foto/©: Wil Roebroeks, Universität Leiden).

Archäologen gehen seit Langem der Frage nach, wie und seit wann der Mensch in die Ökosysteme unseres Planeten eingegriffen hat. Untersuchungen in einem Braunkohleabbaugebiet in der Nähe von Halle lieferten nun wichtige Hinweise. „Im Tagebau von Neumark-Nord wurden in den letzten Jahrzehnten archäologische Forschungen durchgeführt. Neben einer großen Menge an Daten über die frühe Umwelt wurden auch zahlreiche Spuren der Aktivität von Neandertalern gefunden“, sagt Prof. Dr. Sabine Gaudzinski-Windheuser, Professorin für Pleistozäne Archäologie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Leiterin des archäologischen Forschungszentrums und Museums für menschliche Verhaltensevolution MONREPOS, einer Einrichtung des RGZM. „Wir haben unter anderem die Überreste von Hunderten von geschlachteten Tieren gefunden, umgeben von zahlreichen Steinwerkzeugen und einer großen Menge an Holzkohleresten.“

Cover der AiD 1/22 "Neanderthaler des Nordens"

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Neandertaler des Nordens

Neandertaler streiften durch ein riesiges Gebiet von Portugal im Westen, über England bis nach Sibirien im Osten. Im Norden wurde ihr Lebensraum durch das eiszeitliche Klima beschnitten: Vor 300000 bis 40000 Jahren verlief diese Linie mitten durch Norddeutschland und Polen. Funde aus diesem Grenzraum sprechen von Großwildjägern mit technisch ausgefeilter Ausrüstung, die sich um geschwächte Mitglieder kümmerten, heilende Pflanzen nutzten, ihre Toten bestatteten und ausgefallene Materialien schätzten. Grund genug also, sich das Leben der Neandertaler am Rand der bewohnbaren Welt genauer anzusehen.

Jäger und Sammler hielten Waldgebiete während 2.000 Jahren offen

Die Spuren wurden in einer Landschaft gefunden, die vor 125.000 Jahren ein Waldgebiet war. Nicht nur Beutetiere wie Pferde, Hirsche und Rinder, sondern auch Elefanten, Löwen und Hyänen lebten hier, wie die zooarchäologischen Untersuchungen von Dr. Lutz Kindler, Wissenschaftler am RGZM, und Sabine Gaudzinski-Windheuser zeigen. Dieser Laubmischwald erstreckte sich von den Niederlanden bis nach Polen. An mehreren Stellen in diesem Gebiet befanden sich Seen und an einigen dieser Seen wurden Spuren von Neandertalern am Ufer entdeckt. Als die Neandertaler damals dort auftauchten, wich der geschlossene Wald großen offenen Flächen, teilweise aufgrund von Bränden. Es wurde bisher diskutiert, ob der Wald durch die Ankunft des Menschen geöffnet wurde oder ob Menschen hierherkamen, eben weil die Landschaft offen war. Die neue Studie fand jedoch genügend Beweise, um zu dem Schluss zu kommen, dass Jäger und Sammler das Gebiet mindestens 2.000 Jahre lang offen hielten.

Vergleichende Untersuchungen der Leidener Paläobotanikerin Prof. Dr. Corrie Bakels haben gezeigt, dass an ähnlichen Seen der Gegend, wo die gleichen Tiere umherzogen, es aber keine Spuren von Neandertalern gibt, die dichte Waldvegetation weitgehend intakt blieb.

Aus den Sedimenten der Fundstelle Neumark-Nord 2 geborgene Muscheln, die den hervorragenden Erhaltungszustand der Fundstelle veranschaulichen.
Aus den Sedimenten der Fundstelle Neumark-Nord 2 geborgene Muscheln, die den hervorragenden Erhaltungszustand der Fundstelle veranschaulichen. (Foto: Wim Kuijper, Universität Leiden).

Bisher wurde allgemein angenommen, dass die Menschen erst mit der Einführung der Landwirtschaft vor etwa 10.000 Jahren begannen, ihre Umwelt zu gestalten – indem sie zum Beispiel Bäume fällten, um Felder anzulegen. Viele Archäologen gehen jedoch davon aus, dass dies schon viel früher, in kleinerem Umfang, erfolgte, wobei Neumark-Nord das früheste Beispiel für einen solchen Eingriff ist. Die neuen Forschungsergebnisse sind nicht nur für die Archäologie von Bedeutung, sondern auch für Disziplinen, die sich beispielsweise mit Renaturierung befassen. Sie zeigen, dass frühe Jäger und Sammler ihre Landschaft gestaltet haben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass in Zukunft weitere Hinweise gefunden werden, dass bereits die frühen Menschen in der tiefsten Vergangenheit ihre Umwelt schon viel früher stark beeinflusst haben, als bisher angenommen.


Die Studie „Landscape modification by Last Interglacial Neanderthals“ wurde am 15. Dezember in Science Advances veröffentlicht.

Nach einer Pressemeldung des RGZM.

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