Museumsdirektor Fedir Androshchuk zur Lage im Historischen Nationalmuseum Kiew

Gebäude des Nationalen Historischen Museums der Ukraine.
Gebäude des Nationalen Historischen Museums der Ukraine in Kiew. Foto: Sergey UA Kiev, CC-BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons.

Vorbemerkung der Redaktion: Durch Vermittlung von PD Dr. Sigmund Oehrl (Stockholm/München) hat uns am Montag (28. Februar) folgender Bericht aus Kiew erreicht. Der Verfasser, Dr. Fedir Androshchuk, hat sich als Archäologe auf die Erforschung der Wikinger spezialisiert und ist Generaldirektor des Historischen Nationalmuseums der Ukraine. Die Schilderungen geben selbstverständlich seine persönlichen Erlebnisse und Einschätzungen wieder, nicht diejenigen der Redaktion.

Die russische Invasion und das ukrainische Kulturerbe

Ziel der Russen sind in erster Linie militärische Objekte und staatliche Behörden der Ukraine. Einige Militärstandorte befinden sich jedoch auch innerhalb von Kulturerbegebieten. Die berühmte Schlangeninsel (Ostriv Zmijnyj), die seit der Antike als Leuce bekannt ist, wurde kürzlich von den Russen bombardiert. Und Gammalsvenskby (Zmiievka, Altschwedendorf) liegt im Bezirk (Oblast) Cherson, der von russischen Truppen von der Krim aus angegriffen wurde.

Mir liegen Informationen von vier ukrainischen Museen (in Winnyzja, Schytomyr, Sumy und Tschernihiw) vor, wonach es den Kollgen gelungen ist, die wichtigsten Exponate abzubauen und ihre Sammlungen zu verstecken. In Winnyzja wird das Museumsgebäude jetzt teilweise für Binnenvertriebene genutzt. Bislang habe ich noch nicht gehört, dass eines der genannten Museen geplündert oder beschossen wurde.

Ursprünglich hatte ich gehofft, die Museumssammlung in Kiew retten zu können, indem ich die wertvollsten Stücke auf dem Luftweg nach Schweden schicke, aber ich erhielt keine Antwort vom ukrainischen Ministerium für Kultur und Informationspolitik. Soweit ich weiß, wollten sie damit die Ausbreitung von Panik verhindern. Es gibt keine Garantie dafür, dass das ukrainische Kulturerbe nicht geplündert und in russische Museen gebracht wird, zumal Kiew in Putins Interpretation der russischen Geschichte und ihrer Wurzeln einen besonderen Platz einnimmt. Viele Funde, die in der Ukraine in den frühen 1800er-1900er Jahren gemacht wurden, befinden sich bereits in den beiden großen russischen Museen. Und es gibt auch Hinweise darauf, dass Gegenstände aus früheren archäologischen Ausgrabungen auf der Krim an die Eremitage in St. Petersburg geschickt wurden.

Es sollte also sinnvoll sein, von der russischen Seite eine Art von Staatsgarantie zu verlangen.

Glücklicherweise konnten wir kurz vor der Invasion eine Auswahl wichtiger ukrainischer Artefakte für die laufende Wikinger-Ausstellung im Moesgaard Museum in Aarhus zur Verfügung stellen, aber viele davon blieben hier und könnten nun in russische Hände gelangen.

Vor der Invasion hatte das ukrainische Ministerium für Kultur und Informationspolitik keine klaren Pläne für die Museen. Seit sowjetischen Zeiten gibt es eine Anweisung, was Museen im Falle eines bewaffneten Konflikts zu tun haben, nämlich Objekte nach einer bestimmten Priorität und Dokumentation abzubauen und zu verstecken. Das Problem ist, wie man all dies mit einem Mangel an Zeit und Ressourcen bewerkstelligen kann. Sie können die Mitarbeiter nicht zwingen, zu diesen Zeiten zu arbeiten. Viele fliehen mit ihren Familien. Aber ich bin sehr stolz auf meine Kollegen. Viele von ihnen kamen ins Museum und halfen beim Abbau der Dauerausstellung und beim Einpacken der Objekte, die dann an einen sicheren Ort gebracht wurden. Nach dieser Anstrengung gingen zwei Archäologen und zwei junge Historiker, meine jungen Kollegen, direkt an die Front.

Zurzeit sehe ich meine Aufgabe darin, im Museum zu bleiben, bis die Verteidigung funktioniert. Plünderungen sind die größte Bedrohung. Es gibt noch weitere Komplikationen –  das Abwassersystem und die Wasserversorgung funktionieren nicht, aber wir haben etwas zu essen und Trinkwasser. Das Museum befindet sich inmitten eines reichhaltigen Kulturerbes in der Nähe von drei schönen Kirchen, aber auch in der Nähe einiger möglicher Ziele (ukrainische Säpo und ukrainische Grenztruppen). Das sagt alles.