Verlockender Reis: Wie die Hühner zum Menschen kamen und ihren Weg nach Europa fanden

Forscher:innen verglichen für die Studie die Knochen moderner Hühner mit denen aus archäologischen Fundstätten – wie hier Unterschenkelknochen zweier Hühner.(Bild: Jonathan Rees, Universität Cardiff).

Neue Forschungsergebnisse verändern unser Verständnis der Umstände und des Zeitpunkts der Domestikation von Hühnern, ihrer Ausbreitung über Asien in den Westen und zeigen, wie sich ihre Rolle in den Gesellschaften während der letzten 3.500 Jahre verändert hat. Experten fanden heraus, dass der voranschreitende Reisanbau wahrscheinlich einen Prozess in Gang setzte, der dazu führte, dass Hühner zu einem der zahlreichsten Tiere der Welt wurden. Weitere Untersuchungen haben gezeigt, dass Hühner zunächst als Exoten galten und erst einige Jahrhunderte später zum „Nahrungsmittel“ avancierten.

In früheren Arbeiten wurde angenommen, dass Hühner vor bis zu 10.000 Jahren in China oder Südostasien domestiziert wurden und dass Hühner in Europa schon vor über 7.000 Jahren vorkamen. Zwei neue Studien zeigen nun, dass diese Annahme falsch ist. Die treibende Kraft hinter der Domestikation von Hühnern dürfte die Einführung des Trockenreisanbaus in Südostasien gewesen sein, wo ihr wilder Vorfahre, das rote Dschungelhuhn, lebte. Der Trockenreisanbau wirkte wie ein Magnet, der die wilden Dschungelhühner aus den Wäldern in menschliche Siedlungen lockte – offenbar der Katalysator für eine engere Beziehung zwischen Mensch und Dschungelhuhn, aus der schließlich das Haushuhn hervorging.

Der Domestizierungsprozess wird um 1.500 v. Chr. auf der südostasiatischen Halbinsel nachweisbar. Die Forschungen deuten darauf hin, dass die Hühner zunächst durch Asien und erst im frühen ersten Jahrtausend vor Chr. über die von den frühen griechischen, etruskischen und phönizischen Seehändlern genutzten Routen in den Mittelmeerraum transportiert wurden.

In Europa haben die Menschen Hühner zunächst verehrt und im Allgemeinen nicht als Nahrungsmittel betrachtet. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass einige der frühesten Hühner einzeln und als vollständige Körper bestattet und somit gar nicht geschlachtet wurden. Viele der Hühner wurden auch zusammen mit Menschen bestattet, je nach Geschlecht der bestatteten Person entweder Hähne oder Hennen. Erst später während der Römerzeit wurden Hühner und Eier auch als Nahrungsmittel populär. In Britannien zum Beispiel verzehrten die Menschen Hühner erst ab dem dritten Jahrhundert nach Christus regelmäßig, vor allem in städtischen und militärischen Siedlungsplätze.

Das könnte Sie auch interessieren!

Das älteste Hühnerei nördlich der Alpen

Fast 2400 Jahre alte Schalen von einem Hühnerei aus dem heutigen Bayern sind der erste direkte Beleg für den Verzehr von Eiern und zeugen von einem Wandel der Ernährungsgewohnheiten.

Das internationale Expertenteam wertete Überreste von Hühnern aus, die an mehr als 600 Fundorten in 89 Ländern gefunden wurden. Die Forscher:innen untersuchten die Skelette, Fundumstände und historische Aufzeichnungen über die Gesellschaften und Kulturen, in denen die Knochen gefunden wurden. Die ältesten erhaltenen Knochen des Haushuhns wurden

im neolithischen Ban Non Wat in Zentralthailand gefunden und stammen aus der Zeit zwischen 1.650 und 1.250 vor Christus.

Mittels Radiokohlenstoffdatierung gelang es dem Forscherteam das Alter von 23 Knochenfunden der frühesten Hühner aus Europa und Nordwestafrika direkt zu bestimmen. Die meisten der Knochen waren viel jünger als bisher angenommen. Die Ergebnisse widerlegen die Behauptung, dass Hühner in Europa bereits 6.000 v. Chr. lebten, und deuten darauf hin, dass sie erst um 800 v. Chr. nach Europa kamen. Nach der Ankunft im Mittelmeerraum dauerte es dann beinahe weitere 1.000 Jahre, bis sich Hühner in den kälteren Klimazonen Schottlands, Irlands, Skandinaviens und Islands etablierten.

Die beiden Studien erschienen in den Zeitschriften The Proceedings of the National Academy of Sciences USA und Antiquity.  Wissenschaftler:innen der Universitäten München, Exeter, Cardiff, Oxford, Bournemouth und Toulouse sowie von Forschungsinstituten in Deutschland, Frankreich und Argentinien durchgeführt, darunter auch die Staatssammlung für Paläoanatomie München (SNSB-SPM), waren an den Untersuchungen beteiligt.

Prof. Joris Peters von der Staatssammlung für Paläoanatomie München sowie der LMU München sagt: „Zusammen mit der insgesamt sehr anpassungsfähigen, im Wesentlichen auf Getreide basierenden Ernährung der Hühner spielten die Seewege eine besonders wichtige Rolle bei der Verbreitung der Hühner nach Asien, Ozeanien, Afrika und Europa.“

Prof. Naomi Sykes von der Universität Exeter sagt: „Der Verzehr von Hühnern ist so weit verbreitet, dass die Menschen glauben, wir hätten sie nie nicht gegessen. Unsere Erkenntnisse zeigen, dass unsere Beziehung zu Hühnern in der Vergangenheit viel komplexer war und dass Hühner jahrhundertelang gefeiert und verehrt wurden“.

Prof. Greger Larson von der Universität Oxford sagt: „Diese umfassende Neubewertung der Hühner zeigt erstens, wie falsch unser Verständnis von Zeit und Ort der Hühnerdomestikation war. Und, was noch viel spannender ist, wir zeigen, wie die Einführung des Trockenreisanbaus als Katalysator für die Domestikation der Hühner und ihre weltweite Ausbreitung wirkte.”

Dr. Julia Best von der Universität Cardiff sagt: „Dies ist das erste Mal, dass Radiokohlenstoffdatierungen in diesem Ausmaß verwendet wurden, um die Bedeutung von Hühnern in frühen Gesellschaften zu bestimmen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass es notwendig ist, frühe Funde direkt zu datieren, da dies uns das bisher klarste Bild unserer frühen Interaktionen mit Hühnern liefert.“

Dr. Ophélie Lebrasseur vom CNRS/Université Toulouse Paul Sabatier und dem Instituto Nacional de Antropología y Pensamiento Latinoamericano, sagt: „Die Tatsache, dass Hühner heute so allgegenwärtig und beliebt sind, obwohl sie erst vor relativ kurzer Zeit domestiziert wurden, ist verblüffend. Unsere Forschung unterstreicht die Bedeutung solider osteologischer Vergleiche, sicherer stratigrafischer Datierungen und der Einordnung früher Funde in einen breiteren kulturellen und ökologischen Kontext“.

Prof. Mark Maltby von der Universität Bournemouth sagt: „Diese Studien zeigen den Wert von Museen und die Bedeutung von archäologischem Material für die Erforschung unserer Vergangenheit.“

Publikationen:
Peters J, Lebrasseur O, Irving-Pease E, Paxinos PD, Best J, Smallman R, Callou C, Gardeisen A, Trixl S, Frantz L, Sykes N, Fuller D, Larson G (2022) The biocultural origins and dispersal of domestic chickens. Proceedings of the National Academy of Sciences USA
https://www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.2121978119

Best J, Doherty S, Armit I, Boev Z, Büster L, Cunliffe B, Foster A, Frimet B, Hamilton-Dyer S, Higham T, Lebrasseur O, Miller H, Peters J, Seigle M, Skelton C, Symmons R, Thomas R, Trentacoste A, Maltby M, Larson G & Sykes N (2022) Redefining the timing and circumstances of the chicken’s introduction to Europe and north-west Africa. Antiquity 2022 Vol. 0 (0): 1–15
https://doi.org/10.15184/aqy.2021.90

Nach einer Pressemitteilung der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns.

Das könnte Sie auch interessieren!

Kunst, Kult, Konsum. Tiere in der Antike

Zu allen Zeiten haben Menschen Tiere gejagt, domestiziert, als Haustiere gehalten oder sie als Gottheiten verehrt. Tiere waren und sind ein wichtiger Lebensbestandteil in allen Kulturen und fanden seit jeher auch Eingang in Kunst und kultische Handlungen.