Die älteste Steirerin zu Gast in Peggau

v.l.: Silvia Renhart (Archäologie), Hannes Tieber (Bürgermeister), Alexia Getzinger (kaufm. Dir. UMJ), Christopher Drexler (Landesrat), Bernhard Flagl (Namensgeber), Daniel Modl (Archäologie).
v.l.: Silvia Renhart (Archäologie), Hannes Tieber (Bürgermeister), Alexia Getzinger (kaufm. Dir. UMJ), Christopher Drexler (Landesrat), Bernhard Flagl (Namensgeber), Daniel Modl (Archäologie); Foto: UMJ / J.J. Kucek

Peggau, eine Marktgemeinde mit rund 2.400 Einwohner*innen nördlich von Graz, hat seit heute eine Bewohnerin mehr. Das Skelett aus der Josefinenhöhle, das aus der Zeit zwischen 3630 und 3380 v. Chr. stammt, ist ab sofort im Urgeschichtlichen Museum Peggau bei der Lurgrotte zu sehen.

Das Gebiet, etwa 20 km nördlich von Graz, ist eine Kulturlandschaft mit zahlreichen Höhlen, die seit der Urgeschichte besiedelt wurden. Am 12. September 1909 wurde in der Josefinenhöhle das Skelett eines weiblichen Individuums entdeckt. Die durchgeführte Datierung weist darauf hin, dass es aus der Zeit zwischen 3630 und 3380 v. Chr. stammt und damit ungefähr 300 Jahre älter ist als die berühmte Gletschermumie „Ötzi“ aus Südtirol. 113 Jahre nach seiner Auffindung kehrt das Skelett aus der Josefinenhöhle – nach einem Namenswettbewerb „Peggi“ genannt – wieder an seinen Fundort zurück. Als Zusammenarbeit des Universalmuseums Joanneum mit der Marktgemeinde Peggau und der Lurgrottengesellschaft Peggau wird das Skelett der ältesten Steirerin bis Ende Oktober 2022 im Urgeschichtlichen Museum Peggau bei der Lurgrotte zu sehen sein.
Die Entdeckung der Josefinenhöhle und des Skeletts

Am 12. September 1909 stieß ein namentlich nicht bekannter Steinbrucharbeiter südöstlich der Lurgrotte bei Peggau beim Abtragen von Schutt auf den Eingang einer tropfsteinreichen Höhle. Sogleich wurden der Grundbesitzer Josef Dirnbacher und der zufällig anwesende Höhlenforscher Adolf Mayer sen. verständigt, die sich durch den geweiteten Eingang zwängten. In der aus einem langgestreckten Raum und zwei Seitengängen bestehenden Höhle konnten Dirnbacher und Mayer mehrere Menschen- und Tierknochen sowie Keramikscherben bergen, die gut sichtbar aus dem teilweise versinterten Lehmboden hervorragten. Bei den Knochen handelte es sich um neun menschliche Knochen, darunter ein Schädel, ein Unterkiefer, zwei Oberarmknochen und zwei Schienbeine, sowie um mehrere Tierknochen, darunter der Unterkiefer eines Braunbären, die Hornzapfen einer Gämse und das Schulterblatt eines Rothirsches.

Adolf Mayer sen. mit Keramikbruchstücken, Tierknochen und menschlichen Skelettresten aus der Josefinenhöhle bei Peggau, 1909.
Adolf Mayer sen. mit Keramikbruchstücken, Tierknochen und menschlichen Skelettresten aus der Josefinenhöhle bei Peggau, 1909, Quelle: UMJ, AArchMK, Fotoarchiv

Noch am selben Tag wurde der Vorstand der geologischen Abteilung am Joanneum in Graz, Vinzenz Hilber, von der Bergung menschlicher Skelettteile unterrichtet, der in den folgenden drei Wochen mit umfangreichen Grabungsarbeiten in der Höhle begann. In den obersten Sedimentschichten der Höhle konnte Hilber neben dem Schädel eines Braunbären auch ein Knochenwerkzeug und Keramikscherben sowie 48 weitere Menschenknochen vom selben Individuum bergen.

Ein durch körperliche Arbeit geprägtes Leben

Das eindeutig weibliche Skelett weist auf eine kräftige Muskulatur und hohe Robustizität des Individuums hin. So deuten markante Muskelansätze am Oberkörper, vor allem am Schädel und an den Knochen des Schulter-/Oberarmbereiches, auf eine athletisch „trainierte“ Nackenmuskulatur infolge des Tragens schwerer Lasten hin. Dies trifft auch auf die Unterschenkelknochen zu, die ebenso auf die starke Beanspruchung des Körpers und das Zurücklegen weiter Wegstrecken hinweisen. Hockerfacetten belegen das häufige Verharren in hockender Position.

Es finden sich am Skelett auch zahlreiche Belege für oft auftretende Mangelernährungsphasen aufgrund von Hungersnöten bzw. saisonalen Nahrungsmittelengpässen. Zudem hatte die latente Unterversorgung an essenziellen Nährstoffen Einfluss auf die Körperentwicklung und damit auch auf das Höhenwachstum der Frau. Die errechnete Körperhöhe von 147,1 cm mutet für heutige Verhältnisse gering an, entspricht aber der Variationsbreite, die bei neolithischen Skelettserien auftritt.

Einzigartiger Blick auf das Antlitz von „Peggi“

Mit den Methoden der physischen Anthropologie wurde das Sterbealter des weiblichen Individuums aus der Josefinenhöhle zwischen 45 und 55 Lebensjahren festgestellt und mit einer für prähistorische Funde neuartigen molekularen Altersschätzung gegengeprüft. Dies erfolgte mittels der Bestimmung der Pentosidinkonzentration im Dentin eines Zahns. Mithilfe dieser Methodik, die von den deutschen Forscherinnen Stephanie Ritz-Timme und Nina Sophie Mahlke vom Institut für Gerichtsmedizin der Universität Düsseldorf angewendet wurde und bei historischen Knochenproben sowie in der Forensik rezenter Leichenfunde eingesetzt wird, konnte das Sterbealter auf exakt 52,8 Jahre festgelegt werden.

Als Kooperation der Marktgemeinde Peggau und des Universalmuseums Joanneum wurde neben einer digitalen 3-D-Rekonstruktion des Gesichts von „Peggi“ auch eine plastische Schädelbüste angefertigt. Hierzu wurde der Schädel vorab am Institut für Bioinformatik/Forensik, Systemische Forensik und Biologie der Hochschule Mittweida/SIT Darmstadt digital rekonstruiert. Auf Grundlage dieser Rekonstruktion wurde durch Ulrike Weinberger von „Peggi“ eine Büste aus Silikon zu Illustrations- und Ausstellungszwecken für das Urgeschichtliche Museum Peggau hergestellt. Ziel war es, ein lebensechtes Gesichtsmodell eines historischen Schädels zu erstellen, dessen Rekonstruktion auf forensisch-wissenschaftlichen Daten und Methoden basiert. Diese Büste wurde anhand der bereits angefertigten digitalen Rekonstruktion für museumsdidaktische Zwecke nachmodelliert. Repräsentationen und lebensnahe Visualisierungen von kulturellen Hinterlassenschaften nehmen vor allem in den historischen Wissenschaften einen hohen Stellenwert ein und sind u. a. wichtige Werkzeuge für die Wissenschaftskommunikation.

Statements

Kulturlandesrat Christopher Drexler: „Nach 113 Jahren kehrt unsere älteste Steirerin Peggi nun an den Fundort ihrer Überreste zurück. Es ist eine wahre Sensation, dass aus den bestehenden Knochenfragmenten eine so realistische Rekonstruktion ihres Äußeren gelungen ist. Ebenso faszinierend ist es, dass eine wissenschaftlich so profunde Beschreibung ihrer Lebensumstände möglich ist. Viele Erkenntnisse und Forschungsergebnisse stammen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Universalmuseums Joanneum. Ich bin sehr stolz auf diese geballte Expertise im landeseigenen Unternehmen!“

„Für das Universalmuseum Joanneum ist es eine besondere Auszeichnung, mit der Beforschung der ältesten Steirerin ein weiteres Puzzleteil in das Gesamtbild unserer Geschichte und die Geschichte unserer Vorfahren einfügen zu können. Unseren Mitarbeiter*innen ist es gelungen, mit modernsten Technologien eine Rekonstruktion zu erstellen und mit wissenschaftlichen Methoden auch das Lebensumfeld der ältesten Steirerin zu bestimmen. Durch diese großartige Kooperation mit der Gemeinde Peggau konnte es nun ermöglicht werden, Peggi für eine gewisse Zeit auch an ihren Fundort zurückzubringen“, so Alexia Getzinger, kaufmännische Direktorin.

Bürgermeister Hannes Tieber: „Als Bürgermeister der Gemeinde Peggau, der sogenannten Heimatgemeinde der ältesten Steirerin, freut es mich besonders, dass mit dem heutigen Tag Peggi den Bewohnerinnen und Bewohnern hier vor Ort zugänglich gemacht wurde. Es ist nicht unser Verdienst, dass sie vor über hundert Jahren gefunden wurde, jedoch liegt es nun an uns, ihre Geschichte zu erzählen.“

„Die plastische Rekonstruktion eines Gesichts ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Um einen realistischen Effekt zu erzielen, wurden die modellierten Gesichtszüge mit Silikon abgeformt und mit Farbe und echten menschlichen Haaren ergänzt. Im Vergleich mit der an sich schon eindrucksvollen computergestützten Gesichtsrekonstruktion wirkt die plastische Büste noch wesentlich lebensechter“, so Daniel Modl, Mitarbeiter der Abteilung Archäologie & Münzkabinett am Universalmuseum Joanneum

Silvia Renhart, Mitarbeiterin der Abteilung Archäologie & Münzkabinett am Universalmuseum Joanneum: „Mithilfe vieler moderner Methoden gelingt es uns immer besser, Menschen aus der Vergangenheit ins Heute zu holen. Damit können wir Wissenschaft ,verlebendigen‘ und Menschen von heute für das Gestern sensibilisieren. Es ist auch großartig, wie begeistert Kolleg*innen aus anderen Wissenschaftsdisziplinen sofort bereit sind, mitzuarbeiten. Denn nur gemeinsam gelingt es, solche neuartigen Zugänge und Ergebnisse zu schaffen, die Vergangenheit, Menschen und deren Lebensweise lebendig machen. – Und vielleicht schaffen wir es ja auch irgendwann, wirklich aus der Geschichte zu lernen, um nicht immer wieder dieselben Fehler – nur eben mit der jeweiligen Epoche angepassten Mitteln (Waffen …) – zu machen.“

Nach einer Pressemitteilung des Universalmuseums Joanneum.

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