Bohren für das Paläoklima auf dem Bindersee

Bohrplattform im Bindersee
Die Bohrplattform im Bindersee. © Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, F. Knoll.

Neue Forschungskooperation zur Rekonstruktion prähistorischer Umweltbedingungen aus Seesedimenten

Der Bindersee im südlichen Sachsen-Anhalt (Landkreis Mansfeld-Südharz) zählt zu den Relikten des einst größten Binnengewässers Mitteldeutschlands, des im 19. Jahrhundert zugunsten des Bergbaus trockengelegten Salzigen Sees. Seine Sedimente bilden ein einzigartiges Klima- und Umweltarchiv, das nun im Rahmen einer neuen Forschungskooperation des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie (LDA) Sachsen-Anhalt und des Instituts für Geowissenschaften der Universität Bonn erstmals untersucht und ausgewertet werden kann. Den Auftakt hierfür bildet die Entnahme eines Bohrkerns aus den Sedimenten des Bindersees, der in den kommenden Jahren mit modernsten Methoden analysiert und erstmals eine Rekonstruktion prähistorischer Umweltbedingungen in der Region ermöglichen wird.

In der gegenwärtigen Diskussion um natürliche und/oder menschlich beeinflusste Klimaveränderungen spielt die Paläoklimaforschung eine wichtige Rolle, denn kontinuierliche meteorologische Messreihen existieren erst seit etwa 100 Jahren. Um die aktuellen Prozesse in unserem Klimasystem zu verstehen, ist der Blick in die Vergangenheit zentral. Nur so lässt sich der Beginn und Verlauf der Warmzeit (Holozän), in der wir seit über 10 000 Jahren leben, verstehen.

Die Sedimente des Bindersees, einer Restfläche des im 19. Jahrhundert zugunsten des Mansfelder Bergbaus trockengelegten Salzigen Sees stellen ein einzigartiges Archiv für die Umwelt- und Klimageschichte der Nacheiszeit (Holozän) dar. Denn im Gegensatz zu Norddeutschland sind natürlich entstandene Seen in Mitteldeutschland selten. Der Bindersee in seiner heutigen Form ist im 19. Jahrhundert durch Salzauslaugung im Untergrund und der damit verbundenen Absenkung entstanden. Seine tiefste Stelle beträgt aktuell etwa 11 Meter.

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dass die Lebensbedingungen in allen Zeiten der Menschheitsgeschichte in hohem Maße von den jeweiligen klimatischen Voraussetzungenabhängig waren.

Das Gebiet der Mansfelder Seen ist aus klimatischen Gründen bemerkenswert, da es selbst innerhalb des regenarmen mitteldeutschen Trockengebietes die geringsten jährlichen Niederschläge aufweist. Deshalb ist hier der ideale Ort, der Frage nachzugehen, wie sich Klima und Vegetation am Übergang von der letzten Eiszeit zur heute noch währenden Warmzeit wandeln. Dieser Zeitraum, von etwa 10 000 bis 5500 vor Christus, markiert gleichzeitig den Übergang von den Jäger- und Sammlergesellschaften hin zu einer sesshaften Lebensweise mit Viehhaltung und Ackerbau. Von der frühen landwirtschaftlichen Nutzung zeugen in der Region Funde der Bandkeramischen Kultur (Jungsteinzeit, circa 5500 bis 4800 vor Christus), den ersten Ackerbauern in Mitteldeutschland. So kann bereits für die Vorgeschichte der menschliche Einfluss auf die Landschaft und die Vegetationszusammensetzung analysiert werden. Geklärt werden soll so auch, ob in Mitteldeutschland auch nach der Eiszeit noch mit Steppenvegetation zu rechnen ist, während sich andernorts dichte Mischwälder ausbilden.

Ein Schlüssel für die Paläoklimaforschung ist die Vegetation, die sehr empfindlich auf Parameter des bodennahen Klimazustandes wie Temperatur und Niederschlag reagiert. Die Pollenanalyse ist daher eine wichtige Methode zur Rekonstruktion der Vegetations- und Klimageschichte. Sie untersucht den fossilen Blütenstaub, der in geeigneten Ablagerungen (zum Beispiel am Seegrund oder in Mooren) massenhaft eingebettet wird und erhalten bleibt. Durch Bohrungen werden Sedimentkerne gewonnen, aus denen Proben entnommen und im Labor chemisch aufbereitet werden. Die Pollen werden unter dem Mikroskop analysiert und können anhand ihrer Gestalt bestimmten Pflanzen zugeordnet werden. Das Alter der Sedimente wird durch physikalisch-chemische Datierungsmethoden bestimmt. Somit kann der zeitliche Verlauf der Vegetationsveränderungen präzise erfasst werden und das Pflanzenspektrum lässt Rückschlüsse auf vergangene Temperaturen und Niederschlagswerte zu.

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Etwa eine Woche lang werden die Experten der Universität Bonn mit Hilfe einer schwimmenden Plattform auf dem Bindersee mit einem Tiefwasser-Kolbenbohrgerät Bohrkerne von 60 Millimeter Durchmesser gewinnen. Die Bohrkammer wird mit einem Geräteseil abgesenkt und dann von einem beweglichen Hammerkopf in das Sediment gehämmert. Der Bohrer kann in Tiefen von bis zu 20 Meter unter dem Seegrund vordringen. Ähnliche Untersuchungen hat das Team bereits in verschiedenen eurasischen Seen wie dem See Genezareth und dem Birkat Ram in Israel, im Iznik-See in der Türkei, aber auch in Deutschland (in den Eifelmaaren) durchgeführt.

Die Bohrungen im Bindersee sind der Auftakt eines auf vier Jahre angelegten Kooperationsprojekts zwischen dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt und dem Institut für Geowissenschaften der Universität Bonn. Sie versprechen erstmals für Sachsen-Anhalt und Mitteldeutschland verlässliche Daten zur Klimageschichte der jüngeren Menschheitsgeschichte. Der Blick in die Vergangenheit wird helfen, Szenarien für die Zukunft zu entwickeln. Zentral ist die Frage, wie sich eine mögliche zunehmende Trockenheit auf die Vegetationszusammensetzung in der Region auswirken kann.

Nach Pressemitteilung des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt – Landesmuseum für Vorgeschichte –