Gebaut auf Torf – LWL-Archäologie geht dem mittelalterlichen Rietberg auf den Grund

Das Drohnenfoto zeigt die flächige Lage von Ästen und dünnen Stämmen, die den torfigen Untergrund begehbar machen sollte (Foto: Melisch Archäologie KG).

Sechs Wochen lang untersuchte ein Ausgrabungsteam unter fachlicher Begleitung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) zwei Grundstücksflächen an der Sennstraße in Rietberg. Die Archäolog:innen sicherten gut erhaltene Lederfunde, Keramik, Knochen, Schmuck, Holz und Spuren mittelalterlicher Städtebauplanung.

Sand und feuchter Torf erhielten Überreste mittelalterlicher Bebauung

„In gut einem Meter Tiefe stießen wir im Boden auf eine große Bandbreite archäologischer Funde und Befunde. Zum einen hatte eine noch gut erkennbare Auffüllung mit Sand die Spuren im Boden geschützt, die hohe Feuchtigkeit im Bereich einer sich dunkel absetzenden Torflinse bot zudem perfekte Bedingungen für Holz und Lederreste“, freut sich Grabungsleiterin Claudia Maria Melisch.

Im 17. Jahrhundert wurden an der Sennstraße Fachwerkhäuser errichtet, eine Bauinschrift belegt dies für ein noch stehendes Gebäude, sie nennt das Jahr 1629. Daher sind sich die Expert:innen sicher, dass hellkiesiger Sand, der sich auf dem gesamten Grabungsgelände aber auch auf den Nachbargrundstücken nachweisen lässt, vor diesem Datum aufgeschüttet wurde. Allein für die beiden Grundstücke, die jetzt archäologisch untersucht wurden, mussten die Rietberger Bürger damals knapp 800 Kubikmeter Boden anfüllen.

Die umfangreichen Erdarbeiten ordnet Dr. Sven Spiong, Leiter der Außenstelle Bielefeld der LWL-Archäologie für Westfalen, in den historischen Kontext ein: „Hierin sehe ich eine vom Stadtherrn zentral organisierte Aktion, denn dafür spricht die enorme Arbeitsleistung, die mindestens die angrenzenden Grundstücke, wahrscheinlich aber das gesamte Quartier an der Sennstraße betraf“, so der LWL-Archäologe.

Die Fachleute können aufgrund vorheriger Grabungen feststellen, dass die Geländeauffüllungen unmittelbar mit der Erneuerung der Stadtbefestigung zusammenhängen. Schriftquellen belegen, dass die Stadtbefestigung Rietbergs 1557 abgerissen und 1563 erneuert und vergrößert wurde. Dabei wurde zunächst der alte Stadtgraben zugeschüttet, der Wall geschliffen und anschließend die Stadtbefestigung nach außen verlagert und das Stadtgebiet damit vergrößert. Hinter der Stadtbefestigung wurde das Gelände aufgeschüttet und auf diesem erhöhten Gelände neue Wohnhäuser errichtet. Die Bauinschrift an einem Haus an der Südseite der Sennstraße zeigt, dass die gesamte Baumaßnahme 1629 bereits abgeschlossen war.

Doch nicht nur durch das Aufschütten von Sand wurde neuer Baugrund erschlossen. Auch durch das teppichartige Verlegen von Ästen und Zweigen im Bereich einer Torflinse schufen die Rietberger bereits im 14. Jahrhundert Platz für neue Gebäude. Doch trotz der Stabilisierungsmaßnahmen lässt sich noch heute der Verlauf der Torflinse gut nachvollziehen, wenn man die umstehenden Gebäude näher betrachtet. Sie zeigen zum Teil deutliche Absenkungen, die sich bis hinauf zu den Giebeln ausgewirkt haben.

Von den mittelalterlichen Häusern haben sich dank der hohen Feuchtigkeit im torfigen Boden noch die eingegrabenen Holzpfosten erhalten. Von diesen Pfosten haben die Wissenschaftler:innen Proben entnommen, die nun im Labor einer Altersdatierung unterzogen werden. Aber auch ohne die Ergebnisse dieser Untersuchungen aus dem Labor für Dendrochronologie können die Fachleute die Holzpfosten zeitlich gut einordnen, denn sie fanden Keramik, die eindeutig in das 14. Jahrhundert gehört.

Das bisher ebenfalls für das 14. Jahrhundert angenommene Datum einer ersten mittelalterlichen Stadterweiterung und der Ursprung der jetzt nachgewiesenen innerstädtischen Bebauung bzw. Baulanderschließung auf der Nordseite dieser Straßen würden gut zusammenpassen.

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Kämme aus Knochen, Schmuck und steinerne Brunnen

Die guten Erhaltungsbedingungen in der Grabungsfläche brachten den Archäolog:innen weitere Treffer: Sie konnten die Konstruktionen dreier sogenannter Kastenbrunnen, eines hölzernen Fassbrunnens und eines Kalksteinbrunnens genauer untersuchen. Grabungsleiterin Melisch: „Tierknochen, vor allem von Schweinen, aber auch Hasel- und Walnüsse erlauben uns einen Einblick in die damaligen Ernährungsgewohnheiten. Sogar einzelne Schuhsohlen haben sich im Boden bestens erhalten.“
Besonders gefreut habe sich das Grabungsteam auch über den Fund eines kleinen Ohrrings und eines Steilkamms aus Tierknochen. Gemeinsam mit den Laboruntersuchungen des Holzes der mittelalterlichen Häuser werde sich für die Expert:innen daraus ein buntes Lebensbild des städtischen Lebens im mittelalterlichen Rietberg ergeben.

Spiong: „Die Ergebnisse dieser ersten Flächengrabung in Rietberg, die guten Erhaltungsbedingungen für organisches Material wie Holz oder Leder und die zahlreichen mittelalterlichen Funde zeigen, wie wichtig die archäologische Denkmalpflege bei Baumaßnahmen in der historischen Altstadt sind.“

Nach Pressemitteilung des LWL.

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