Kli­ma­ge­schich­te der ver­gan­ge­nen 12.000 Jah­re kom­ple­xer als bis­lang an­ge­nom­men

Die neue Stu­die zeigt auf, wie wich­tig es ist, die re­gio­na­len Kli­ma­schwan­kun­gen in Re­chen­mo­del­len ein­zu­be­zie­hen. So spiel­te etwa in den ho­hen Brei­ten die Son­nen­ein­strah­lung und die Eis­aus­deh­nung eine wich­ti­ge Rol­le bei den Kli­ma­ver­än­de­run­gen wäh­rend des Ho­lo­zäns. Ein Wis­sen­schaft­ler steht vor dem grön­län­di­schen Eis­schild, Ja­kob­shavn Is­bræ Glet­scher (Foto: Vin­cent Jomel­li).

Das „Ho­lo­zän-Tem­pe­ra­tur­rät­sel“ steht im Fo­kus ei­ner neu­en Stu­die zur Klimageschichte. Diverse Faktoren beeinflussen das Klima, und nicht in allen Regionen der Welt ist das Feedback auf solche Faktoren einheitlich. So kommen etwa Klimamodelle und Temperaturrekonstruktionen zu unterschiedlichen Schlüssen zum Klima der vergangenen 12.000 Jahre, die erdgeschichtlich als Holozän bezeichnet werden. Ein internationales Team von Forschern aus Deutschland, dem Vereinigten Königreich, der Schweiz, Kanada und Frankreich zeigt in einer Veröffentlichung in Nature Communications auf, wie komplex die Temperaturentwicklung regional ist.

For­schen­de grei­fen auf Kli­ma­mo­del­le und Re­kon­struk­tio­nen der Klimageschichte zu­rück, um Aus­sa­gen zum Kli­ma der Zu­kunft ma­chen zu kön­nen. Zu ver­ste­hen, wie und war­um sich das Kli­ma in der Ver­gan­gen­heit ver­än­dert hat, ist da­bei wich­tig, um Mo­del­le zu tes­ten und Un­si­cher­hei­ten bei Kli­ma­vor­her­sa­gen zu ver­rin­gern. In die­sem Zu­sam­men­hang wur­den die Ver­än­de­run­gen der durch­schnitt­li­chen Ober­flä­chen­tem­pe­ra­tur der Erde wäh­rend der ak­tu­el­len Zwi­schen­eis­zeit, dem Ho­lo­zän (etwa die letz­ten 12.000 Jah­re), in der For­schung ein­ge­hend dis­ku­tiert. Re­kon­struk­tio­nen ver­gan­ge­ner Tem­pe­ra­tu­ren schei­nen dar­auf hin­zu­deu­ten, dass die glo­ba­le Durch­schnitts­tem­pe­ra­tur vor etwa 6.000 Jah­ren ein Ma­xi­mum er­reich­te und sich bis zum Aus­bruch der ge­gen­wär­ti­gen Kli­ma­kri­se wäh­rend der in­dus­tri­el­len Re­vo­lu­ti­on ab­kühl­te. Kli­ma­mo­dell­si­mu­la­tio­nen deu­ten da­ge­gen auf eine kon­ti­nu­ier­li­che Er­wär­mung seit Be­ginn des Ho­lo­zäns hin. Im Jahr 2014 nann­ten For­schen­de die­se gro­ße Dis­kre­panz zwi­schen Mo­del­len und ver­gan­ge­nen Kli­ma­be­ob­ach­tun­gen das „Ho­lo­zän-Tem­pe­ra­tur­rät­sel“.

Für die ak­tu­el­le Stu­die ha­ben Er­st­au­tor Oli­vier Car­ta­pa­nis und sei­ne Kol­leg:in­nen nun die größ­te ver­füg­ba­re Da­ten­bank mit Tem­pe­ra­tur­re­kon­struk­tio­nen aus der Ver­gan­gen­heit ge­nutzt, um die geo­gra­fi­schen Mus­ter der Tem­pe­ra­tur­ver­än­de­run­gen wäh­rend des Ho­lo­zäns zu un­ter­su­chen. Das in­ter­na­tio­na­le Team stell­te fest, dass es – an­ders als bis­her an­ge­nom­men – in den ver­gan­ge­nen 12.000 Jah­ren kei­ne glo­bal syn­chro­ne Wär­me­pe­ri­ode gab. Statt­des­sen fin­den sich die wärms­ten Tem­pe­ra­tu­ren zu un­ter­schied­li­chen Zei­ten nicht nur in ver­schie­de­nen Re­gio­nen wie­der, son­dern auch zwi­schen Oze­an und Land. Dies, schluss­fol­gern die For­schen­den, wer­fe die Fra­ge auf, wie aus­sa­ge­kräf­tig Ver­glei­che der glo­ba­len Mit­tel­tem­pe­ra­tur zwi­schen Re­kon­struk­tio­nen und Mo­del­len tat­säch­lich sind.

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Laut Oli­vier Car­ta­pa­nis stel­len „die Er­geb­nis­se das Pa­ra­dig­ma ei­nes welt­weit syn­chro­nen ther­mi­schen Ma­xi­mums im Ho­lo­zän in Fra­ge. Wäh­rend die wärms­te Tem­pe­ra­tur der Klimageschichte in West­eu­ro­pa und Nord­ame­ri­ka vor 4000 bis 8000 Jah­ren er­reicht wur­de, kühl­te sich die Ober­flä­chen­tem­pe­ra­tur der Ozea­ne in den mitt­le­ren und ho­hen Brei­ten seit etwa 10.000 Jah­ren ab und blieb in den Tro­pen sta­bil.“ Die re­gio­na­le Va­ria­bi­li­tät des Zeit­punkts der Höchst­tem­pe­ra­tu­ren deu­te dar­auf hin, dass die Son­nen­ein­strah­lung in ho­hen Brei­ten und die Eis­aus­deh­nung eine wich­ti­ge Rol­le bei den Kli­ma­ver­än­de­run­gen wäh­rend des Ho­lo­zäns spiel­ten. 

Lu­kas Jon­kers, Mit­au­tor der Stu­die und For­scher am MARUM – Zen­trum für Ma­ri­ne Um­welt­wis­sen­schaf­ten in Bre­men sagt: „Da Öko­sys­te­me und Men­schen nicht die mitt­le­re Tem­pe­ra­tur der Erde er­fah­ren, son­dern von re­gio­na­len und lo­ka­len Kli­ma­ver­än­de­run­gen be­trof­fen sind, müs­sen die Mo­del­le die räum­li­chen und zeit­li­chen Mus­ter des Kli­ma­wan­dels rich­tig er­fas­sen, um den po­li­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­gern eine Ori­en­tie­rungs­hil­fe zu ge­ben.“ Die neue Ar­beit von Car­ta­pa­nis und Kol­le­gen zur Klimageschichte stel­le so­mit ein kla­res Ziel für Kli­ma­mo­del­le dar, denn die Fä­hig­keit der Kli­ma­mo­del­le, die Kli­ma­schwan­kun­gen des Ho­lo­zäns in Raum und Zeit zu re­pro­du­zie­ren, wird das Ver­trau­en in ihre re­gio­na­len Pro­jek­tio­nen des künf­ti­gen Kli­ma­wan­dels er­hö­hen.

Originalpublikation

Oli­vier Car­ta­pa­nis, Lu­kas Jon­kers, Pao­la Moffa-San­chez, Sa­mu­el L. Jac­card, Anne De Ver­nal: Com­plex spa­tio-tem­po­ral struc­tu­re of the Ho­lo­ce­ne Ther­mal Ma­xi­mum. Na­tu­re Co­mu­ni­ca­ti­ons 2022. DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-022-33362-1

Beteiligte Institute

  • MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, Universität Bremen
  • CEREGE, Universität Aix Marseille (Frankreich)
  • Fachbereich Geographie, Universität Durham (Großbritannien)
  • Institut für Geowissenschaften, Universität Lausanne (Schweiz)
  • Geotop, Université du Québec à Montréal (Kanada)

Das MARUM ge­winnt grund­le­gen­de wis­sen­schaft­li­che Er­kennt­nis­se über die Rol­le des Oze­ans und des Mee­res­bo­dens im ge­sam­ten Erd­sys­tem. Die Dy­na­mik des Oze­ans und des Mee­res­bo­dens prä­gen durch Wech­sel­wir­kun­gen von geo­lo­gi­schen, phy­si­ka­li­schen, bio­lo­gi­schen und che­mi­schen Pro­zes­sen maß­geb­lich das ge­sam­te Erd­sys­tem. Da­durch wer­den das Kli­ma so­wie der glo­ba­le Koh­len­stoff­kreis­lauf be­ein­flusst und es ent­ste­hen ein­zig­ar­ti­ge bio­lo­gi­sche Sys­te­me. Das MARUM steht für grund­la­gen­ori­en­tier­te und er­geb­nis­of­fe­ne For­schung in Ver­ant­wor­tung vor der Ge­sell­schaft, zum Wohl der Mee­res­um­welt und im Sin­ne der Nach­hal­tig­keits­zie­le der Ver­ein­ten Na­tio­nen. Es ver­öf­fent­licht sei­ne qua­li­täts­ge­prüf­ten, wis­sen­schaft­li­chen Da­ten und macht die­se frei zu­gäng­lich. Das MARUM in­for­miert die Öffent­lich­keit über neue Er­kennt­nis­se der Mee­res­um­welt, und stellt im Dia­log mit der Ge­sell­schaft Hand­lungs­wis­sen be­reit. Ko­ope­ra­tio­nen des MARUM mit Un­ter­neh­men und In­dus­trie­part­nern er­fol­gen un­ter Wah­rung sei­nes Ziels zum Schutz der Mee­res­um­welt.

Dieses Projekt zur Klimageschichte wurde durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union im Rahmen der Marie-Sklodowska-Curie-Finanzhilfevereinbarung Nr. 897046 für OC finanziert. LJ wird durch die deutsche Klimamodellierungsinitiative PALMOD finanziert, die vom Bundesministerium für Wissenschaft und Bildung (BMBF) gefördert wird. Das Forschungsprogramm von AdV wird vom kanadischen Natural and Engineering Research Council (NSERC) unterstützt.

Nach Pressemitteilung von MARUM – Zen­trum für Ma­ri­ne Um­welt­wis­sen­schaf­ten der Universität Bremen.

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