Den Schreibern des Mittelalters auf der Spur – Forschungsprojekt ordnet Handschriften den Urhebern zu

Foto: FH St. Pölten.

Niederösterreichs Klöster verfügen über umfangreiche Sammlungen mittelalterlicher Handschriften. Es gibt meistens keine Hinweise darauf, wie viele Schreiber in einem Kloster tätig waren, ob diese zwischen Klöstern wechselten und wie die Schreibstuben organisiert waren.

Ein Forschungsprojekt unter der Leitung der FH St. Pölten unterstützt die historische Forschung und identifiziert mittels künstlicher Intelligenz Kopisten von Manuskripten aus dem 12. Jahrhundert in der Bibliothek des Stifts Klosterneuburg.

Das Projekt analysiert anhand von künstlicher Intelligenz die Schreibweisen verschiedener Schreiber und identifiziert diese durch stilistische Merkmale ihrer Handschrift. Das gibt Aufschluss über die Verteilung der Schreiber in den Manuskripten und die Organisation der Schreibstuben.

Einsatz von Active Machine Learning zur Schreibstilanalyse

Die klassische manuelle Schreibstilanalyse erfolgt bisher durch Expert*innen und ist ein langwieriger und zeitaufwendiger Prozess. Zudem besteht die Gefahr, dass die Ergebnisse subjektiv durch individuelle Eindrücke beeinflusst werden.

„Es gibt Ansätze, die Handschriften mittelalterlicher Schreiber durch maschinelles Lernen zu identifizieren. Diese sind jedoch für große Textsammlungen nicht verwendbar. Es geht hier um zehntausende Seiten“, sagt Markus Seidl, vom Institut für Creative\Media/Technologies an der FH St. Pölten, der das Projekt leitet und mit seinem Team ein Verfahren entwickelt hat, damit die automatische Analyse auf große Mengen von Manuskripten angewendet werden kann.

Mithilfe von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen wird die große Menge an Seiten rascher analysiert. Dabei geht es nicht darum, einzelne Schreiber als Personen oder mit Namen zu identifizieren, aber festzustellen, ob verschiedene Texte vom selben Schreiber stammen oder von unterschiedlichen Händen.

Zusammenarbeit von Mensch und Maschine

In diesem interdisziplinären Projekt arbeiten Historiker*innen und Informatiker*innen zusammen. Grundlage für die Untersuchung sind alle in der Stiftsbibliothek Klosterneuburg aufbewahrten und mittlerweile digitalisierten Handschriften des 12. Jahrhunderts. Die TU Wien ist Projektpartner.

„Wir verbinden die Vorteile des maschinellen Lernens mit der menschlichen Expertise“, sagt Seidl. Die Maschine macht den Schriftforscher*innen, den Paläograf*innen, einen Vorschlag zur Schreiberhand. Die Expert*innen können diesen annehmen, ablehnen oder einen anderen Vorschlag machen. Durch die Bewertung der Expert*innen wird das Computermodell laufend verbessert. „Der Vorteil ist, eine große Menge an Manuskripten viel schneller in einem ersten Schritt einordnen zu können, als dies Menschen machen könnten“, so Seidl.

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„Dieses Projekt hilft nicht nur, ein bedeutendes Desiderat der Geschichtsforschung interaktiv zu bearbeiten, sondern schafft auch neue Analysemöglichkeiten und -werkzeuge, die ein tieferes Wissen über alle anderen mittelalterlichen Schreibsstuben im heutigen Niederösterreich ermöglichen. Basierend auf dem Studium des Klosterneuburger Skriptoriums im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts können größere ungelöste Fragen zur Organisation der Schriftlichkeit in den hochmittelalterlichen (nieder)österreichischen Klöstern beantwortet werden“, sagt Martin Haltrich, Leiter der Stiftsbibliothek Klosterneuburg.

Forschung – Lehre – Abschlussarbeiten

Das Projekt ist auch ein hervorragendes Beispiel für die internationale und interdisziplinäre Verknüpfung von Lehre und Forschung. Im Laufe des Projekts sind schon zwei Masterarbeiten fertiggestellt worden, eine befindet sich in Arbeit. Die Masterarbeiten stammen von der Universität Mainz (Digital Humanities), der Universität Wien (Geschichte) und der FH St. Pölten (Interactive Technologies):

  • „Maschinelles Lernen zur Untersuchung von Schreiberhänden des Klosterneuburger Skriptoriums im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts“ von Julius Weißmann
  • “Das erste Skriptorium des Stiftes Klosterneuburg im 12. Jahrhundert. Studie zur Methodenentwicklung in der Skriptorienforschung“ von Viktoria Reich
  • „Development of a Siamese Convolutional Neural Network for Handwritten Text Similarity Estimation in Medieval Manuscripts“ von David Schaupp

Weiters haben mehrere Studierende aus den Bachelor Studiengängen Creative Computing und Medientechnik sowie dem Master Digital Innovation and Research das Projekt im Rahmen von Lehrveranstaltungen und Praktika und als Research Assistants begleitet.

Projekt Scribe ID

Das Projekt wird von der Gesellschaft für Forschungsförderung Niederösterreich (GFF vormals NFB) über den FTI Call 2018 Digitalisierung gefördert. Partner*innen im Projekt sind Stift Klosterneuburg und TU Wien.

Nach einer Pressemitteilung der FH St. Pölten.

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