Soziale Ungleichheit war das Ende von Vráble

Rund 5.000 Jahre vor unserer Zeit war die Siedlung von Vráble im Žitava-Tal, Slowakei, eine florierende Gemeinschaft, der Solidaritätsgedanke war eine der Grundlagen der damaligen Gesellschaft. Durch eine intensive Landwirtschaft und den Zugang zu exotischen Ressourcen wuchs der Wohlstand jedoch in einer Form, die soziale Ungleichheit entstehen ließ. Diese führte zu Widersprüchen und Spannungen in der Gemeinschaft. Um 5.100 vor unserer Zeit erreichten diese Konflikte einen Siedepunkt und sie konnten nicht mehr durch die Kraft gesellschaftlicher Solidarität beigelegt werden. Einzelne Höfe begannen abzuwandern, bald wurde Vráble vollständig verlassen. Welche Faktoren zur Zeit der Linearbandkeramik (LBK) genau zum Auseinanderbrechen der Gemeinschaft geführt haben, haben Archäologinnen und Archäologen der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) nun zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus der Slowakei und Norwegen in einem Buch dargelegt.

Zwei Studenten legen eine Bestattung aus Vráble frei. Die beiden knien bzw. liegen auf dem Boden. Eine:r der beiden Student:innen entfernt mit Hilfe eines Spachtels den losen Erdboden, der das Skelett verdeckt. Auf dem Foto ist der Oberkörper sowie die Arme des Toten zu sehen.
Eine kopflose Bestattung in Vráble wird mit Hilfe der Studenten freigelegt. © M. Furholt, Uni Kiel

„Archaeology in the Žitava valley I: The LBK and Želiezovce settlement site of Vráble“ („Die LBK und der Siedlungsplatz Želiezovce von Vráble“) präsentiert die Ergebnisse der Forschungen vor allem zu den Siedlung Vráble „Veľké Lehemby“ und „Fárske“ in der Südslowakei (5250-4950 vor unserer Zeit). Es ist das Ergebnis einer laufenden internationalen Zusammenarbeit zwischen dem Sonderforschungsbereich (SFB) 1266 „Scales of Transformation“ („TransformationsDimensionen“) an der CAU, der Akademie der Wissenschaften in Nitra und der Universität Oslo. Das Buch vereint Forschungen aus der Archäologie, Geophysik, Geomorphologie, Zoologie, Botanik und der Analyse stabiler Isotope.

Die Archäologinnen und Archäologen des Forschungsprojekts des SFB 1266 an der Universität Kiel untersuchen im Teilprojekt „Prozesse der Siedlungskonzentration und Landnutzung in frühen bäuerlichen Gemeinschaften im nordwestlichen Karpatenbecken“ anhand verschiedener zeitlicher, räumlicher und sozialer Faktoren die Skalen der Transformation. Das übergeordnete Ziel ist es zu verstehen, wie sich Prozesse der sozio-ökologischen Interaktion sowohl auf die Umwelt als auch auf die Gemeinschaften am Fluss Vráble auswirkten.

Ein längliches Artefakt aus schwarzem Obsidian.
Dieses Obsidian-Artefakt wurde in der Siedlung Vráble gefunden. © S. Jagiolla, Uni Kiel

Der erste Band zur Archäologie des Žitava-Tals zeigt auf, wie die Einführung von Ackerbau, Viehzucht und konzentrierter Siedlungsweise, beispielsweise in Vráble, zu sozialer Komplexität und einem Spannungsverhältnis zwischen gemeinschaftlicher Solidarität sowie zu internen sozialen Gegensätzen beitrug. Darüber hinaus beschreiben die Forschenden, wie soziale Konflikte innerhalb einer frühen bäuerlichen Gemeinschaft gelöst wurden.

Da die Siedlung von Vráble rund 300 Jahre lang ununterbrochen besiedelt war und ihre Geschichte detailliert nachverfolgt werden kann, stellt sie in diesem Zusammenhang eine außergewöhnliche Fallstudie für die Forschenden dar. „Ihre Geschichte ist zwar für sich genommen einzigartig, aber sie birgt Anhaltspunkte für ein besseres Verständnis des mitteleuropäischen Phänomens großer, geschlossener Siedlungen des späteren LBK, die früheste Jungsteinzeit in Mitteleuropa, und, ihrer Verbindung mit Ritualen und Gewalt am Ende dieser Gesellschaften“, sagt Professor Martin Furholt, Leiter des Teilprojekts im SFB.

Soziale Komplexität, kommunale Solidarität, landwirtschaftliche Produktivität, regionale Austauschnetzwerke und gemeinschaftsinterne Konflikte sind Teil der Geschichte von Vráble. Die Subsistenzstrategien – also die Strategie zur Sicherstellung der Ernährung – in Vráble basieren auf Tierhaltung und Pflanzenanbau, teilweise auf den gleichen Feldern. Diese Kombination führte zu einem Düngungseffekt auf den Anbaufeldern und einem deutlich höheren Ernteertrag. Dieser Erfolg sprach wahrscheinlich auch die benachbarte Bevölkerung an und motivierte so eine größere Ansammlung von Menschen in der Siedlung, die gleichzeitig eine deutlich größere Bevölkerung ernährte. Einzelne Höfe waren in der Lage, den Zugang zu kritischen Ressourcen, wie Obsidian und Silex, zu sichern und offenbar zu monopolisieren – ein Zeichen entstehender sozialer Ungleichheit, die sich dann auch in den Bestattungssitten zeigte.

Gleichzeitig wuchs die interne Differenzierung in voneinander abgesetzte Siedlungsteile: Im Laufe der archäologischen Untersuchungen wurden hunderte von Langhäusern in Vráble identifiziert, die sich auf drei räumlich getrennte Nachbarschaften verteilen. Eine dieser Nachbarschaften umgibt gegen Ende der Siedlungszeit eine große Einfriedung – eine Graben – und eine Palisadenanlage. „Diese Abtrennung deutet auf eine Zunahme sozialer Spannungen und interner Konflikte hin. Dies stellt auch eine deutliche Abweichung von den üblicherweise überwiegend kooperativen, gemeinschaftlichen Lebensbedingungen der meisten jungsteinzeitlichen Gemeinschaften dar“, erklärt Furholt. Vráble ist für die Archäologinnen und Archäologen ein hervorragendes Fallbeispiel, um Fragen zur Interaktion zwischen Mensch und Umwelt, zu sozialen Mustern und wirtschaftlichen Praktiken zu untersuchen, die verschiedenen Teilaspekte sind Bestandteil des vorliegenden Bandes.

Nach Pressemeldung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

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