Rekonstruktion des Grabhügels in seinem ­finalen Zustand mit einem Durchmesser von 60 m und einer Höhe von 6 m. Rings um den Hügel ist durch die Materialentnahme ein Graben entstanden, der den ­Hügel noch höher wirken lässt.

Die Bestattung des Keltenfürsten von Hochdorf

Von Thimo Jacob Brestel; Titelbild: Rekonstruktion des Grabhügels in seinem ­finalen Zustand mit einem Durchmesser von 60 m und einer Höhe von 6 m. Rings um den Hügel ist durch die Materialentnahme ein Graben entstanden, der den ­Hügel noch höher wirken lässt. © Faber Courtial GbR, Th. J. Brestel (wiss. Rekonstruktion )/RPS-LAD

40 Jahre nach der sensationellen Entdeckung des frühkeltischen »Fürsten« von Hochdorf wurde die Architektur des monumentalen Großgrabhügels ­wissenschaftlich aufgearbeitet. Die Analyse der Ausgrabungsbefunde enthüllt minutiös zahlreiche Facetten des Bestattungsrituals.

Während der älteren Eisenzeit kam es in Teilen Süddeutschlands, Frankreichs und der Schweiz zu einer bis dahin unbekannten Konzentration von Macht und Reichtum in den Händen einer kleinen Gruppe von Frauen und Männern – den sogenannten Fürstinnen und Fürsten. Dies belegen prunkvolle Bestattungen der späten Hallstattzeit (etwa 620 – 450 v. Chr.), oft beigesetzt in außergewöhnlich großen Grabhügeln, deren Durchmesser bis zu 120 m betragen konnte. Die monumentalen Bauwerke heben sich durch Größe, investierte Arbeitskraft und aufwendige Architektur deutlich von den gängigen Grabhügeln jener Epoche ab. Jedoch können wir in den Gräbern nur den Endpunkt des Bestattungsritus fassen, denn in der Hallstattkultur fehlen Schriftquellen und bildliche Darstellungen, die über die begleitenden Rituale Auskunft geben könnten – als Quelle bleiben allein Ausgrabungsbefunde.

Um 530 / 520 v. Chr. verstarb ein männliches Mitglied der damaligen Elite in der Region um den Hohenasperg. Das war der Auslöser für den Bau eines Großgrabhügels von 61,5 m Durchmesser und etwa 6 m Höhe in Eberdingen-Hochdorf im Landkreis Ludwigsburg in Baden-Württemberg. Mehr als 2500 Jahre später barg Jörg Biel aus dem Zentrum des Hügels die ungewöhnlich reiche Bestattung des hochgewachsenen, etwa im Alter von 50 Jahren verstorbenen Mannes. Am Landesamt für Denkmalpflege in Esslingen konnten dank der Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft jetzt die Ausgrabungen, die Jörg Biel 1978 bis 1980 sowie 1998 bis 1999 in Hochdorf durchführte, detailliert ausgewertet werden. Dabei war es möglich, anhand der Architektur des Grabhügels den Ablauf des komplexen Bestattungsrituals in Teilen zu rekonstruieren und so einen einmaligen Einblick in das Totenbrauchtum der Hallstattzeit zu erhalten.

Zeit für Abschied und Trauer – die Aufbahrung

Bereits mit dem Eintreten des Todes eines Menschen beginnt das Bestattungsritual, das in allen Kulturen aus einer Vielzahl von überlieferten Handlungen und Gesten besteht sowie mit der Nutzung bestimmter Gegenstände und Architekturformen verbunden ist. Im Fall von Hochdorf wissen wir nichts Genaueres über die Todesursache, der Zeitpunkt jedoch ist anhand pflanzlicher Reste aus der Grabkammer im Sommer anzusetzen.

Zunächst bereitete man den Platz vor und schachtete eine quadratische Grabgrube von 11 m Seitenlänge und 2,5 m Tiefe aus. Spuren von frischem Bewuchs auf dem Aushub der Grube zeigen, dass bis zur Bestattung mindestens vier Wochen vergingen. Aus der zeitlichen Differenz zwischen biologischem Tod und Beisetzung ergibt sich die Notwendigkeit, den Leichnam haltbar zu machen, damit dieser die Zeit »unbeschadet« überdauert. Dass eine solche Konservierung tatsächlich stattfand, ist insofern belegt, als keine typischen aasfressenden Insektenlarven gefunden wurden. Zudem war der Körper des Toten haarlos, was auf eine Einbalsamierung schließen lässt. Welche Methode jedoch zur Haltbarmachung verwendet wurde, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen.

Ein Blick auf antike Schriftquellen und bildliche Darstellungen der Etrusker, Skythen und Griechen verdeutlicht, dass die Aufbahrung des Leichnams unbedingt zum Bestattungsritual gehörte. Der Verstorbene wurde zumeist auf einer Kline gebettet und in kostbare Textilien gehüllt, Trauernde mit Salbgefäßen und Musikanten ­begleiteten das Geschehen. ­Erstaunlicherweise finden sich solche mediterranen Klinen auch in späthallstattzeitlichen Prunkgräbern wie im Grafenbühl bei Asperg, im ­Römerhügel bei Ludwigsburg und aus Gießhübel Hügel 1 bei der Heuneburg. Ursprünglich lag man auf diesen importierten Möbeln bei Gastmählern und ritualisierten Trinkgelagen. Erst später wurden sie zur Aufbahrung des Leichnams verwendet und gelangten in die Gräber. Für die Könige der Skythen ist sogar überliefert, dass sie auf Wagen aufgebahrt durchs Land gefahren wurden.

Für Hochdorf ist anzunehmen, dass man den Verstorbenen zuerst auf dem sofaartigen Bronzemöbel aufbahrte, auf dem er später auch in der Grabkammer gebettet lag. Die Aufbahrung diente dem Erinnern, Trauern und Abschiednehmen. Dabei konnte, durch prächtige Textilien und Goldobjekte, der Reichtum des Verstorbenen zur Schau gestellt werden. Zugleich wurde der Zeitraum bis zur Beisetzung überbrückt – schließlich mussten Grabbeigaben hergestellt, Baumaterialien beschafft und Kammer samt Hügel errichtet werden, was Monate in Anspruch nehmen konnte.

Für die Errichtung der Grabkammer schaffte man zunächst Eichenstämme zum Bauplatz und bearbeitete sie vor Ort mit Beilen, was Abdrücke von Spänen auf der alten Oberfläche bezeugen. In der Grabgrube konstruierte man daraus in Blockbauweise eine ungewöhnliche Doppelgrabkammer. Zwar waren die Hölzer bei der Ausgrabung nur noch als Hohlräume oder Verfärbungen erhalten, doch war es durch eine sorgfältige Dokumentation möglich, die Architektur vollständig zu rekonstruieren. Die innere der beiden quadratischen Kammern hatte 4,7 m Seitenlänge und wurde aus vierkantigen Balken errichtet – in ihr fand später die Beisetzung des Toten mit den Grabbeigaben statt. Die äußere Kammer war mit 7,5 m deutlich größer und aus halbierten Stämmen erbaut.

Rings um die Grabgrube wurde noch vor der Bestattung ein erster Grabhügel, der sogenannte Primärhügel, mit einem Durchmesser von 40 m und einer Höhe von nur etwa 2,5 m errichtet. Hierfür wurden Rasensoden im unmittelbaren Umfeld abgestochen, mit Wagen oder geflochten Körben zum Bauplatz transportiert und dort sorgfältig aufgeschichtet. Auf diesem ersten Grabhügel errichtete man am Nordrand einen Eingangsbereich aus zwei L-förmigen Trockensteinmauern. Steinarchitektur findet sich in der Hallstattzeit ansonsten nur bei Befestigungsanlagen, was zeigt, dass man beim Bau des Großgrabhügels auch neuartige Bauweisen umsetzte. Durch den steinernen Zugang führte von Nordwesten her ein geschotterter Weg den Hügel hinauf bis zur Grabgrube, der als Prozessionsweg zu deuten ist.


Cover AiD 5/22

Lesen Sie den ganzen Beitrag im Heft!

Kulturerbe in Nord- und Ostsee

Von einem Blick auf das Kulturerbe in Nord- und Ostsee über einen Ausflug zu den Chimú in den Südamerikanischen Anden bis hin zu neuesten Erkenntnissen über das berühmte Grab des Keltenfürsten von Hochdorf – in unserem Heft 5/22 erwartet Sie eine bunte Mischung aus Themen und Sie werden direkt aus der Landesarchäologie über Ausgrabungen, Funde und Forschungsarbeiten informiert.