Ledertasche mit Hintersinn

Zu den Besonderheiten Mecklenburg-­Vorpommerns gehören zahlreiche vorzüglich erhaltene Fundstücke aus Leder, die bei Grabungen in den mittelalterlichen Altstädten geborgen wurden. Sie waren bislang kaum zugänglich, da sie dicht gestapelt in großen Kunststoffbehältern im Archäologischen Archiv lagerten. Im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Umzug in einen Neubau wird nun erstmals der gesamte Bestand erfasst und katalogisiert. Dabei kam eine verzierte Ledertasche aus dem 15. Jh. zum Vorschein, die 2001 aus einer Latrine in Wismar geborgen worden war. Sie ist, einschließlich des Trageriemens, vollständig erhalten. Ihr Inneres ist mehrfach unterteilt und kann vollständig aufgeklappt werden. Die Schauseite zeigt eine vollflächige figürliche Darstellung. Zu erkennen sind zwei Menschen, die sich gegenübersitzen. Eine Hand ist­ jeweils erhoben, während die andere auf einer Art Brett liegt. Im Hintergrund und über den Figuren breitet sich eine florale Ornamentik aus.

Hansestadt Wismar. ­Ledertasche mit verzierter Schauseite. Breite ca. 11 cm, Höhe etwa 9,5 cm
Hansestadt Wismar. Ledertasche mit verzierter Schauseite. Breite ca. 11 cm, Höhe etwa 9,5 cm. Foto: LAKD MV/LA A. Paasch

Wie im Mittelalter üblich, dürfte die Ornamentik nicht als eigenständige schöpferische Leistung des Taschenherstellers entstanden sein, sondern einem feststehenden Bilderkanon folgen. Einen Anhaltspunkt für die Deutung liefert das zwischen den beiden Personen dargestellte Brett, dessen Oberfläche in kleine Quadrate unterteilt ist. Es handelt sich offensichtlich um ein Schachbrett. Tatsächlich sind Darstellungen Schach spielender Personen in der mittelalterlichen Kunst des 14. und 15. Jh. nicht selten. Ein schönes Beispiel für dieses Motiv findet sich in der zwischen 1460 und 1470 vermutlich am Oberrhein entstandenen Darstellung »Der große Liebesgarten mit Schachspielern« (Kupferstich, 16,8 cm × 21 cm. Berlin, SMPK, Kupferstichkabinett).

Der Meister der Wismarer Tasche stand vor der Aufgabe, das im Holzschnitt sehr detailliert dargestellte Motiv des schachspielenden Paares im Liebesgarten so weit zu vereinfachen, dass es sich in das Leder einprägen ließ. Dafür hat er das Motiv auf seine wichtigsten Bestandteile reduziert: Das Paar am Schachbrett und den Garten mit Baum, Pflanzen und einem Vogel. Über ihren ursprünglichen Inhalt gibt die Tasche leider keine Auskunft.

| D. Jantzen, Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern, Landesarchäologie

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