Die wikingerzeitlichen Perlenmacher waren fortschrittlicher als bisher angenommen. Eine Forschergruppe der Universität Aarhus zeigt, dass die Handwerker in der frühen Wikingerzeit um das Jahr 700 ausgeklügelte und nachhaltige Methoden anwandten, als sie alte römische Glasmosaiken für die Herstellung von Glasperlen wiederverwendeten.
Ribe war in der Wikingerzeit eine wichtige Handelsstadt. Zu Beginn des 8. Jahrhunderts wurde auf der Nordseite des Flusses Ribe ein Handelsplatz eingerichtet, zu dem Händler und Handwerker von weit her strömten, um Waren wie Fibeln, Anzugschnallen, Kämme und bunte Glasperlen herzustellen und zu verkaufen.
Als Glas im frühen Mittelalter zur Mangelware wurde, wurden farbige Glaswürfel – so genannte Tesserae – von Mosaiken in verlassenen römischen und byzantinischen Tempeln, Palästen und Bädern entnommen, nach Norden transportiert und in Reichsstädten wie Ribe gehandelt, wo die Perlenmacher sie in großen Gefäßen einschmelzen und zu Perlen formen ließen.
Bisher gingen die Archäologen davon aus, dass die Perlenmacher die opaken weißen Mosaiksteine als Rohmaterial für die Herstellung weißer, opaker Perlen verwendeten.
Intelligente und nachhaltige Produktion
Und genau hier haben ein Geochemiker und ein Archäologe der Universität Aarhus zusammen mit einem Museumskurator aus Ribe eine überraschende Entdeckung gemacht, die sie soeben in der Fachzeitschrift Archaeological and Anthropological Sciences veröffentlicht haben: Die chemische Zusammensetzung weißer Wikingerperlen aus einer der frühesten Werkstätten zeigte, dass die Glasmacher einen nachhaltigeren Weg gefunden hatten, um Zeit und Holz für ihre Öfen zu sparen: goldvergoldete, transparente Glaswürfel zerkleinern, bei niedriger Temperatur umschmelzen, umrühren, um Luft in Form von Blasen einzuschließen, und schließlich das Glas um einen Eisendorn wickeln, um Perlen zu formen – voila! – undurchsichtige weiße Perlen, die in kurzer Zeit und mit einem Minimum an Ressourcen hergestellt werden.
Die wertvollen hauchdünnen Goldplättchen, die an der Oberfläche des Goldmosaiksteins klebten, wurden natürlich vom Glasmacher vor dem Umschmelzen des Glases gerettet, aber die neuen Erkenntnisse zeigen, dass ein Teil des Goldes unweigerlich im Schmelztiegel gelandet war. Winzige Goldtropfen in den weißen Perlen, die vielen Luftlöcher (weshalb die Perlen undurchsichtig sind) sowie die Tatsache, dass keine chemischen Farbspuren vorhanden sind, zeigen den Forschern, dass tatsächlich die Goldmosaiksteine das Rohmaterial für die Perlen waren.
Solche Goldspuren wurden nicht nur in den weißen, sondern auch in den blauen Perlen aus der gleichen Werkstatt gefunden. Hier zeigt die Chemie, dass die Rezeptur des Glasmachers aus einer Mischung der blauen und goldenen Mosaiksteine bestand. Die Vermischung war notwendig, weil die römischen blauen Mosaiksteine hohe Konzentrationen chemischer Substanzen enthielten, die sie undurchsichtig machten – und damit ideal für Mosaike, aber nicht für blaue Perlen. Durch diese Verdünnung der chemischen Substanzen entstand das tiefblaue, transparente Glas, das wir von den wikingerzeitlichen Perlen kennen.
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Handwerkskunst für Kenner
Der Perlenmacher in Ribe hätte die Glasmischung auch mit alten Scherben von Trichterbechern verdünnen können, die ebenfalls in der Werkstatt gefunden wurden. Diese entpuppten sich jedoch als altes, verunreinigtes, römisches Glas, das immer wieder umgeschmolzen worden war.
„Und die Glasmacher in Ribe waren eindeutig Kenner, die das klarste Glas bevorzugten, das sie in die Finger bekamen“, sagt Gry Hoffmann Barfod vom Institut für Geowissenschaften der Universität Aarhus. Sie fügt hinzu: „Für eine Geochemikerin war es ein Privileg, mit diesem fantastischen Material zu arbeiten und zu entdecken, wie relevant das hier gespeicherte Wissen für unsere heutige Gesellschaft ist.“
Interdisziplinäre Forschung
Die interdisziplinäre Studie war eine Zusammenarbeit zwischen Gry Barfod, Søren Sindbæk, Professor für Archäologie am Center for Urban Network Development (UrbNet) der dänischen Nationalen Forschungsstiftung an der Universität Aarhus, und dem Museumskurator Claus Feveile am Museum von Südwestjütland, der auf die Wikingerzeit und die früheste Geschichte von Ribe spezialisiert ist.
„Die herausragendsten Errungenschaften des Handelsplatzes Ribe waren nicht nur die Produkte, sondern auch die Kreislaufwirtschaft und das Bewusstsein, begrenzte Ressourcen zu schonen“, so Professor Søren Sindbæk.
Und Museumskurator Claus Feveile kommentiert: „Diese spannenden Ergebnisse zeigen deutlich das Potenzial, neue Fakten über die Wikinger zu erforschen. Durch die Kombination unserer hochauflösenden Ausgrabungen mit solchen chemischen Analysen erwarte ich in naher Zukunft viele weitere Enthüllungen.“
Søren Sindbæk und Claus Feveile leiteten von 2016-2018 die archäologischen Ausgrabungen des Northern Emporium Project, bei denen neue hochauflösende Ansätze erstmals eine Auflösung bis auf wenige Jahrzehnte innerhalb der extrem gut erhaltenen Ribe-Stratigraphie ermöglichten. Die Funde aus den Ausgrabungen werden derzeit in rekonstruierten Nachbildungen der Perlenmacherwerkstätten in der neuen Sonderausstellung im Wikingermuseum Ribe gezeigt.
Originalpublikation
Archaeological and Anthropological Sciences
DOI 10.1007/s12520-022-01646-8
Nach Pressemitteilung der Universität Aarhus.
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