Die „älteste Steirerin“ – Das kupferzeitliche Skelett im Universalmuseum Joanneum in Graz

Gesichtsweichteilrekonstruktion mit ergrautem Haar (Grafik: Institut für Bioinformatik/Forensik, Systemische Forensik und Biologie, Hochschule Mittweida/SIT Darmstadt – University of Applied Sciences/D. Labudde, S. Becker und J. Rosenfelder).

Seit über 100 Jahren ist aus der steirischen Josefinenhöhle ein urgeschichtliches Skelett bekannt, das stets zu den ältesten derartigen Funden Österreichs zählte. Eine jüngst durchgeführte Radiokarbondatierung hat nun das wahre Alter der Gebeine enthüllt. Das Skelett eines weiblichen Individuums datiert zwischen 3630-3380 v. Chr. und ist damit sogar um ca. 300 Jahre älter als der Ötzi, die berühmte Gletschermumie aus den Ötztaler Alpen in Südtirol. Das bislang älteste in der Steiermark aufgefundene menschlichen Skelett datiert somit in die späte Jungsteinzeit, die auch als Kupferzeit bezeichnet wird. Heute wird das Skelett in der Sammlung Geologie & Paläontologie der Abteilung Naturkunde am Universalmuseum Joanneum in Graz aufbewahrt.

Die Anthropologin Silvia Renhart und der Archäologe Mag. Daniel Modl, beide Mitarbeiter der Abteilung Archäologie & Münzkabinett am Universalmuseum Joanneum, haben mit modernsten Methoden diesen Altfund untersuchen lassen und konnten neue Erkenntnisse hinsichtlich des Sterbealters des weiblichen Individuums im Joanneum, ihres Körperbaus, ihrer Nähe zu anderen bekannten anthropologischen Funden dieser Epoche und der Behandlung des Leichnams nach dem Tode gewinnen. Zudem gewährt eine Gesichtsweichteilrekonstruktion einen einzigartigen Blick auf das Antlitz der „ältesten Steirerin“, die als klein, robust und kräftig beschrieben werden kann und in einem für damalige Zeiten hohen Alter von ungefähr 52 Jahren verstarb.

Vorderansicht des Schädels aus der Josefinenhöhle (Foto: UMJ/D. Modl).

Hinweise auf ein durch körperliche Arbeit geprägtes Leben

Das eindeutig weibliche Skelett weist auf eine kräftige Muskulatur und hohe Robustizität des Individuums hin. So weisen markante Muskelansätze am Oberkörper vor allem am Schädel und den Knochen des Schulter-/Oberarmbereiches auf eine athletisch „trainierte“ Nackenmuskulatur, infolge des Tragens schwerer Lasten hin. Dies trifft auch für die Unterschenkelknochen zu, die ebenso auf die starke Beanspruchung des Körpers und Zurücklegen weiter Wegstrecken Zeit ihres Lebens hinweisen. Hockerfacetten belegen das häufige Verharren in hockender Position. Es finden sich am Skelett auch zahlreiche Belege für häufig auftretende Mangelernährungsphasen aufgrund von Hungersnöten bzw. saisonalen Nahrungsmittelengpässen mit einem fast stetigen Mangel an Vitamin C, Mineralstoffen und Eiweiß, die zur Schwächung des Organismus führten. Daraus resultierte wiederum eine hohe Anfälligkeit für Infektionserkrankungen und Skorbut. Zudem hatte die latente Unterversorgung an essenziellen Nährstoffen Einfluss auf die Körperentwicklung und damit auch auf das Höhenwachstum des Individuums. Die errechnete Körperhöhe von 147,1 cm mutet für heutige Verhältnisse gering an, entspricht aber durchaus der Variationsbreite, die bei ur- und frühgeschichtlichen und speziell auch neolithischen Skelettserien auftritt. Und es handelt sich hierbei keinesfalls um die vor 100 Jahren postulierte „Zwergwüchsigkeit“ oder dergleichen.

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Manipulationsspuren

Um eine weitere, neue Erkenntnis handelt es sich beim manipulativen Eingriff am Schädel. Das Hinterhauptsloch wurde mit Schnitten erweitert und die Gelenksaufsätze (Condylen) am Hinterhaupt wurden abgetragen. Neben diesem Substanzabbbau am Schädelknochen sind auch Manipulationen am ersten und zweiten Halswirbel vorhanden. Diese Spuren an der Schädelbasis und an den Halswirbeln belegen eindeutig einen artifiziellen Eingriff zur Öffnung des Schädels. Dafür wurde ein spitzes, schneidiges Gerät verwendet, das Weichteile durchtrennte sowie die ersten beiden Halswirbel und das Foramen magnum samt Condylen schwer beschädigte. Der Eingriff erfolgte vom hinteren Schädel-Halsbereich aus. Vermutlich mit einem Feuersteinmesser wurden Haut, Muskel und Sehnen sowie die Halswirbelverbindungen durchtrennt und der Schädel an der Basis geöffnet. Dabei wurde auch das Knochengewebe des zweiten und ersten Halswirbels beschädigt. Dem folgte die Freilegung der Schädelbasis samt „Abtrennen“ der Halswirbel vom Schädel und Erweiterung bzw. Aufschneiden des Foramen magnum im Bereich der Unterschuppe des Hinterhauptes. Wobei die Spuren an den Knochen für einen zeitnah nach Todeseintritt erfolgten Eingriff sprechen, als das Knochengewebe noch frisch und elastisch war.

Zur Klärung des Motivs sind mehrere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Dies wären einerseits der Wunsch nach Gewinnung bzw. Entfernung des Gehirns der Verstorbenen sowie andererseits eine bewusste Zerlegung des Leichnams für eine partielle Niederlegung – zumal die Originallage des Skelettes in der Höhle heute nicht mehr wirklich nachvollzogen werden kann.

Beiden Motiven liegen magisch-rituelle Vorstellungen zu Grunde, die dem Schädel eine besondere Bedeutung zumaßen. In Kopf bzw. Gehirn wurde der Sitz von Kraft, Persönlichkeit und Geist verortet, die sich die Hinterbliebenen bzw. die Gemeinschaft erhalten – und wohl im wahrsten Sinne des Wortes auch selbst „einverleiben“ – wollten. Neben dem Ziel der Gehirnentnahme ist auch eine damit verbundene Niederlegung in Teilen, also die Sitte einer separaten Bestattung von Schädel und Körper in Betracht zu ziehen.

Gesichtsweichteilrekonstruktion im Joanneum

Eine weitere Neuheit stellen die in den letzten Jahren entwickelten digitalen Möglichkeiten zur Gesichtsweichteilrekonstruktion dar. Basierend auf den an der Klinischen Abteilung für Kinderradiologie der Universitätsklinik für Radiologie, Graz, durch Erich Sorantin vorgenommenen CT-Aufnahmen des Schädels, deren Daten am Ludwig Boltzmann Institut für Klinisch-Forensische Bildgebung, Universität Graz, von Dr. Alexander Bornik aufbereitet wurden, konnte am Institut für Bioinformatik/Forensik, Systemische Forensik und Biologie, Hochschule Mittweida/SIT Darmstadt – University of Applied Sciences, durch Dirk Labudde, Sven Becker und Jasmin Rosenfelder die vorliegende Gesichtsrekonstruktion der bislang ältesten Steirerin vorgenommen werden.

DNA-Untersuchung

Schlussendlich wurde mit Hilfe Europas renommiertester Forscher hinsichtlich antiker DNA, Johannes Krause (Max Planck Institute for the Science of Human History, Department of Archaeogenetics, Jena) und Cosimo Posth mit Yu He (Archaeo- and Palaeogenetics group, Institute for Archaeological Sciences, Eberhard Karls University Tübingen) versucht, den Chromosomensatz zu entschlüsseln. Aufgrund der langen Lagerung im Höhlenmilieu konnte leider keine verwertbare DNA extrahiert werden, jedoch gelang es über eine PCA oder HKA (Principal Component Analysis/ Hauptkomponentenanalyse), einem mathematischen Verfahren der multivariaten Statistik (auch als Hauptachsentransformation oder Singulärwertzerlegung bekannt), Ergebnisse zu erlangen, um einen Vergleich mit anderen kupferzeitlichen Individuen aus Europa – einschließlich dem Ötzi – herzustellen. Die grafische Darstellung der Positionierung des Skelettes aus der Josefinenhöhle auf der Verteilungskarte zeigt, dass es im Zentrum, mit fast gleichem Abstand zu anderen untersuchten, kupferzeitlichen Funden Europas liegt und damit genau dem geographischen Muster entspricht.

Nach Pressemitteilung des Universalmuseum Joanneum.

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