Forensische Untersuchung einer barocken Marmorskulptur

Der analysierte Schädel.
Der analysierte Schädel. Foto: Boston University.

Wie gingen die Künstler und Bildhauer des Barocks bei ihrer Arbeit vor? Zum ersten Mal haben Forscher eine medizinisch-anthropologische Analyse eines von Gian Lorenzo Bernini gefertigten Marmorschädels durchgeführt. Die forensische Untersuchung dieser in Dresden wiederentdeckten Skulptur kann dazu beitragen, Details der Arbeitsmethoden großer Künstler der Vergangenheit zu erfassen und anderweitig nicht bekannte Vorgehensweisen zu ermitteln.

„Die Skulptur aus weißem Marmor steht auf einem weinroten Podest. Der Schädel ist so detailliert, dass er viele präzise anatomische Merkmale aufweist, die wie bei einem echten Schädel untersucht werden könnten. Es scheint, dass der Künstler Bernini tatsächlich einen echten biologischen Schädel als Modell verwendet hat, da er Details eingefangen hat, die einen erwachsenen Mann europäischer Abstammung darstellen“, so der Co-Autor James T. Pokines, außerordentlicher Professor für Anatomie und Neurobiologie an der Boston University.

Pokines wandte für seine Untersuchungen die üblichen forensisch-anthropologischen Techniken an, wie sie auch bei einem biologischen Schädel angewandt werden. Dazu gehören die Bewertung morphologischer Merkmale für Geschlecht und Abstammung sowie die Durchführung von Standard-Schädelmessungen mit einem Messschieber. Er und seine Kollegen stellten fest, dass der Schädel extrem detailliert ist und er viele anatomische Details aufweist, die wie bei einem echten Schädel untersucht werden können. Bernini stellte sogar Unregelmäßigkeiten fest, die auch bei echten Schädeln vorkommen, wie z. B. Links-Rechts-Asymmetrie, Abweichungen etwa bei der Form einer Naht und Zahnverlust vor und nach dem Tod.

Pokines ist der Ansicht, dass wir durch die Anwendung neuer Analysetechniken auf kunsthistorische Objekte möglicherweise mehr über die tatsächlichen künstlerischen Mittel erfahren können, die Bernini und andere Künstler der Renaissance oder des Barock verwendet haben und sonst verloren sind. „Insbesondere stärkt es unser Verständnis für die technische Meisterschaft Berninis, für sein Geschick und seine Aufmerksamkeit für anatomische Details, die für die Herstellung dieses Kunstwerks erforderlich waren“, sagt er.

Den Forschern zufolge gibt es weitere Schädelskulpturen aus der Renaissance, dem Barock und anderen Epochen, auf die die forensische Analysemethoden angewandt werden könnten. In einigen Fällen könnte dies auch bei Gemälden möglich sein. „Es gibt einen weiteren Schädel, der Teil einer Grabskulptur in Rom von Bernini oder seiner Werkstatt ist und den wir untersuchen wollen. Er ist nicht so detailliert, aber wir wollen sehen, ob er auch nach einem bestimmten biologischen Schädel als Modell geformt wurde, im Gegensatz zu einer allgemeineren Schädeldarstellung“, fügt Pokines hinzu. Die Ergebnisse der Forscher erscheinen online in der Zeitschrift The Seventeenth Century.

Nach Pressemitteilung der Boston University

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