Stonehenge – ein logistisches Meisterwerk: Kerstin Schierhold im Interview

„Ein Denkmal wie Stonehenge würde man heute in drei Tagen bauen, vor 5.000 Jahren brauchte man dafür viele Jahre“, erklärt Dr. Kerstin Schierhold, Kuratorin der Sonderausstellung „Stonehenge“, die ab dem 23. September 2021 im LWL-Museum für Archäologie in Herne zu sehen ist. Maschinen gab es in der Jungsteinzeit keine, und auch Rechnen und Vermessen waren keine Selbstverständlichkeit. Trotzdem war „Stonehenge“ nicht allein: In Westfalen baute man schon 1.000 Jahre früher als in England mit großen Steinen.

Zapfen-, Nut- und-Feder-Verbindungen verzahnen die Trag- und Decksteine von Stonehenge miteinander, eine Technik aus der Holz-Bearbeitung.
Zapfen-, Nut- und-Feder-Verbindungen verzahnen die Trag- und Decksteine miteinander, eine Technik aus der Holz-Bearbeitung. Foto: LWL/ K. Schierhold



83 Steine sind heute noch von dem ursprünglichen Monument übrig. Wie kamen sie in die Salisbury-Ebene, wo Stonhenge bis heute steht?
Dr. Kerstin Schierhold: Die Steine wurden von weit hergebracht. Dabei hat man zwei verschiedene Gesteinsarten verwendet: Das eine sind die „Sarsen“, das andere die „Bluestones“. Die Sarsen sind sehr große Steine. Sie können ein Gewicht von bis zu 40 Tonnen erreichen und kommen aus einer Entfernung von ungefähr 25 bis 30 Kilometern. Das ist eine enorme Leistung, wenn man das schwere Gewicht und die einfachen Mittel bedenkt, mit denen damals gearbeitet wurde. Die „Bluestones“ stammen aus den Preseli-Bergen in Wales, das sind noch einmal etwa 240 Kilometer Entfernung.

Woher wissen wir 5.000 Jahre später, woher die Steine kommen?
Wir kennen die Plätze, von wo die Steine kommen. Archäolog:innen konnten die Steinbrüche mittels geochemischer Analysen aufspüren.

Kann man den Transportweg heute noch rekonstruieren?
Ja, über das Gelände. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie man Steine von A nach B bringen kann. Dazu gibt es sogar Experimente. Stonehenge regt natürlich dazu an, so etwas auszuprobieren. Die selbsternannten „Stonehengineers“, von Stonehenge-Ingenieur:in oder- Entwickler:in, überlegen sich andauernd neue Möglichkeiten, wie die tonnenschweren Steine transportiert worden sein könnten. Mal geht es einen Abhang herauf, mal herunter, mal muss man Wasser überqueren.

Es ist aber völlig unklar, ob ein Spezialisten-Team diese Steine aus den Steinbrüchen geholt hat oder einzelne Gruppen, die sich lokal auskannten und unterschiedliche Transportmöglichkeiten verwendet haben. Die herkömmliche Methode ist auf Rollen: Man nimmt Rundhölzer, einfache Stämme, geglättet, mit möglichst wenig Ästen, wo der Stein einfach hinüberrollen kann. Aber es gibt auch Versuche mit Schienen oder Hebeln. Die Hebel setzt man unter die Steine, hebt sie an und bewegt sie ähnlich wie ein Ruder. Vieles ist denkbar, so bleibt auch der Transport ein großes Rätsel.

Dr. Josef Mühlenbrock, ehemaliger Leiter des LWL-Archäologiemuseums, und Julian Richards, Archäologe und BBC-Journalist, an einer museumspädagogischen Station in der Nähe von Stonehenge. Das Foto wurde 2017 bei einem Vorbereitungstermin vor Ort aufgenommen.
Dr. Josef Mühlenbrock, ehemaliger Leiter des LWL-Archäologiemuseums, und Julian Richards, Archäologe und BBC-Journalist, an einer museumspädagogischen Station in der Nähe von Stonehenge. Das Foto wurde 2017 bei einem Vorbereitungstermin vor Ort aufgenommen. Foto: LWL/ K. Schierhold

Auch in Westfalen gibt es solche Monumente, die die Landschaft dauerhaft markieren und Erinnerungsorte schaffen. Ist man dort beim Bau und Transport ähnlich vorgegangen wie die Engländer?
In Westfalen wurden Megalithgräber schon lange vor Stonehenge aus großen Steinen errichtet. Ihr Bau war auch in Westfalen mit großem Arbeitsaufwand verbunden. Wir können auch in Süd- und Ostwestfalen in einigen Fällen durch geologische Untersuchungen des Baumaterials Herkunft und Transportwege rekonstruieren, die meist zwischen ein bis drei Kilometer betragen. Es gibt aber auch Gräber, deren Baumaterial aus elf und 16 Kilometer Entfernung stammt. Ob beim Bau Hilfsmittel wie Rindergespanne eingesetzt wurden, wissen wir nicht sicher, aber es lässt sich vermuten, weil auf manchen Steinen auch stilisierte Rinder zu sehen sind. Die Steine wurden vermutlich aber auch auf Holzschlitten befestigt und über Rollen gezogen.

Die Anordnung der großen Steine als Trag- und Decksteine zu gewaltigen Toren, ihre Form als Hufeisen und in Steinkreisen wirkt sehr durchdacht. Über welche Fähigkeiten und Kenntnisse mussten die Menschen damals verfügen?
Wir können nicht sicher sein, wie Stonehenge gebaut wurde. Aber wir wissen: Die Leute müssen mathematische und vermessungstechnische Fähigkeiten gehabt haben. Klar, musste man zählen können. Man hat einfach eine gewisse Anzahl an Steinen gebraucht. Da steckt ein bestimmter Plan dahinter.

Einen Kreis in einer Ebene einzurichten ist nicht schwer. Alles, was man braucht, sind ein Pflock und ein Seil, aber die nächste Frage ist schon: Wurden die Abstände zwischen den Steinen vorher genau errechnet oder hat man sie einfach auf gut Glück aufgestellt? Diese Frage ist bis heute offen. Forscher:innen haben viel diskutiert über das sogenannte megalithische Yard. Das sollte eine Standard-Maßeinheit sein, allerdings ist sie unserer heutigen Vorstellungswelt entlehnt, wo wir alles genau abmessen. Fraglich ist, ob die Menschen der Jungsteinzeit das auch so gehandhabt haben.

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Kathedralen der Steinzeit

Von Menschen errichtete Anlagen mit großen Steinen, die Megalithen, sind ein in urgeschichtlichen Kulturen weltweit verbreitetes Phänomen. Diese in unserer modernen Landschaft fremd und exotisch anmutenden Bauten wurden zumeist als Bestattungsplätze oder als Heiligtümer angelegt. Die im nördlichen Mitteleuropa verbreiteten Megalithbauten – zu denen neben den Großsteingräbern auch Steinkreise, Steinreihen, Steinkisten und Einzelmonumente gehören – stammen aus der Zeit zwischen ca. 4800 und 2500 v. Chr. und stellen damit die älteste bis heute erhaltene Architektur in dieser Region dar. Die weltweit bekannteste Anlage dieser Gruppe ist das in diesem Band auf der Grundlage neuester Forschungsergebnisse behandelte Stonehenge in Südwestengland. Das Wissen um die enorme Bedeutung dieser megalithischen Monumente war schließlich der Anlass eine europaweite „Straße der Megalithkultur“ als offiziellen Kulturweg des Europarats zu initiieren.

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Der Platz, an dem Stonehenge erbaut worden ist, fällt leicht am Hang ab. Die Erbauer:innen haben aber darauf geachtet, dass alle Steine gleich hoch sind. Statt die Steine abzuschlagen, was viel Arbeit gewesen wäre, haben sie die Fundamentgruben angepasst. Sie müssen dabei eine Art Messgerät für Höhenunterschiede gehabt haben. Mit bloßem Augen hätte man das nicht abschätzen können.

Neben dem technischen Aspekt steht aber auch die Motivation, die wir bis heute nicht eindeutig durchschauen: Alle Steine sind astronomisch ausgerichtet. Stonehenge ist wie ein Observatorium, eine Sternwarte. Auch da ist sehr viel Wissen eingeflossen.

Wie lange hat der Bau gedauert?
Die ersten Steine sind ca. 2500 v. Chr. angekommen. Bei den „Bluestones“ ist man sich nicht ganz sicher, ob sie nicht vielleicht schon früher da waren. Der letzte große Umbau hat ungefähr 2200 v.Chr. stattgefunden. Da wurden die „Bluestones“ noch einmal umgestellt. In der letzten Phase während der Bronzezeit, ungefähr 1800 bis 1600 v.Chr., wurden die Steine nur noch verziert.

Wieso steht das Monument bis heute?
Stonehenge hält dank einer Kombination von Zapfen-, Nut- und-Feder-Verbindungen, die die Trag- und Decksteine miteinander verzahnen. Das ist eigentlich eine Technik aus der Holz-Bearbeitung. Sie ist in Stonehenge im äußeren Sarsen-Kreis und bei den großen Trilithen, die in einer Hufeisen-Formation im Inneren stehen, angewendet worden. In der Ausstellung haben wir den inneren Steinkreis 1:1 rekonstruiert, so dass Besucher:innen die Steine in ihrer wahren Dimension erleben, mit einer originalgetreuen Oberfläche, die jedes Detail wiedergibt, auch die Bauart.

Wieso hat man sich damals die ganze Arbeit gemacht?
Das ist heute noch ein Rätsel. In der frühen Phase war Stonehenge ein Ort für Bestattungen. Später war der Steinkreis ein Ort der Zusammenkunft und des gemeinsamen Feierns, insbesondere zur Wintersonnenwende. Da wollte man sich vergewissern: Wird tatsächlich ein neues Jahr beginnen, wenn das alte Jahr zu Ende geht? Erst als die Sonne in demselben Steinkreis wieder aufging, wo sie tags zuvor untergegangen war, konnte man sich sicher sein – so denken wir heute, das war vielleicht die Vorstellung damals.

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Das Rätsel »Stonehenge« – Michael Rind im Interview

Ab dem 23. September bringt das LWL-Museum für Archäologie Stonehenge nach Herne. Dank der zehn Meter hohen Ausstellungshalle entsteht am Europaplatz in Herne die europaweit erste Rekonstruktion des berühmten englischen Steinkreises in Originalgröße. Unter der Leitung von Prof. Dr. Michael Rind decken Archäolog:innen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in der neuen Sonderausstellung bisher unbekannte Parallelen zu westfälischen Kulturlandschaften mit Megalithgräbern und Grabenwerken auf.

Zur Interviewpartnerin

Dr. Kerstin Schierhold ist Archäologin. Sie leitete die archäologischen Ausgrabungen an zwei jungsteinzeitlichen Galeriegräbern in Erwitte Schmerlecke (Kreis Soest) sowie Prospektionen in deren Umfeld. Von 2015 bis 2018 war sie Leiterin des Forschungsprojekts „Megalithik in Westfalen“ der LWL-Altertumskommission für Westfalen. Seit 2018 arbeitet sie als Kuratorin der Sonderausstellung „Stonehenge“ im Museum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Herne.

Zur Sonderausstellung: Stonehenge – Von Menschen und Landschaften

Vom 23. September 2021 bis zum 25. September 2022 zeigt das LWL-Museum für Archäologie in Herne die Geschichte des berühmtesten archäologischen Denkmals Europas in seiner einzigartig erhaltenen vorgeschichtlichen Umgebung. Die Landschaft von Stonehenge wird der gleichzeitigen Entwicklung und gegenwärtigen menschengemachten Landschaften in Westfalen gegenübergestellt. Gemeinsam mit dem Ludwig Boltzmann Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie (LBI ArchPro) in Wien werden die neuesten Forschungsergebnisse präsentiert.

Der berühmte Steinkreis in Südengland ist ein Beispiel für vorgeschichtliche Bau- und Ingenieurskunst und ihr monumentaler Höhepunkt. Er war Teil einer rituellen Landschaft mit jahrtausendealter Geschichte. Die Tiefe dieser Geschichte wird in Herne mit der westfälischen Landschaft gestern und heute in Beziehung gesetzt. In der Ausstellung bewegen sich die Besucher:innen durch analoge und virtuell rekonstruierte Landschaften und begeben sich so auf eine Reise durch Raum und Zeit. Sie erleben die Ausmaße des imposanten Steinkreises durch detailgetreue Repliken in Originalgröße. Ausgewählte Funde der englischen und LWL- Archäologie für Westfalen zeigen, mit welchen Mitteln die Landschaften geformt wurden, und bringen den Besucher:innen den prähistorischen Menschen und seine Lebenswelten näher. Mit einem Ausblick auf die moderne Industrie- und Kulturlandschaft Ruhr spannt die Ausstellung einen Bogen bis in unsere Gegenwart.

Nach Pressemitteilung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL)

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