Cover der in der AiD 4/23 besprochenen Bücher und Medien

Klimawandel, Couchsurfing & Geschlechtervielfalt – Lesetipps aus der AiD 4/23

Von den Mythen der Ägypter über das Couchsurfing in der Antike bis hin zu Klimawandel und Grabungsalltag – die Buchbesprechungen in der AiD 4/23 laden ein zum Kennenlernen von Legenden und vielem mehr.

KLIMA.MENSCH.GESCHICHTE. – Für die Zukunft von unseren Vorfahren lernen

Cover Klima aus der Rubrik Bücher und Medien in der AiD 4/23

Brian Fagan und Nadia Durrani

Stuttgart: Franckh-Kosmos Verlag 2022, 400 S., 12 s/w Abb., 9 Karten, 26 Euro


Das Schicksal der Menschheit war immer schon eingeschrieben in die Klimageschichte der Erde. So dürften es klimatische Gründe gewesen sein, die frühe Angehörige unserer Spezies zur Abwanderung aus ihrem afrikanischen Ursprungsgebiet veranlassten und vor bald 70000 Jahren zur endgültigen Etablierung des Homo sapiens zunächst in Vorderasien und Europa führten. Fagans und Durranis Erzählung der Menschheitsgeschichte aus der Perspektive der Klimaforschung setzt vor 30000 Jahren ein. Ihr Hauptaugenmerk gilt den Entwicklungen ab der Jungsteinzeit, insbesondere den Hochkulturen, die eine große Anzahl von Menschen ernähren können mussten und für Klimaveränderungen besonders anfällig waren. Das akribisch recherchierte Buch führt uns unter anderem nach Mesopotamien, Ägypten, in die Indusregion, das präkolumbische Amerika und vom Göbekli Tepe nach Angkor Wat, Groß-Simbabwe und Wiesensteig. Phänomene wie Megadürren, die mittelalterliche Klimaanomalie, die Kleine Eiszeit oder das »Jahr ohne Sommer« werden auf ihre Ursachen untersucht und in ihren Auswirkungen auf den Menschen dargestellt. Die Reaktion auf lokale Klimaverschlechterungen bestand oft in Gewalt, der Auflösung staatlicher Strukturen und der weitgehenden Abwanderung der überlebenden Population. Dies lässt wohl wenig Hoffnung für die Zukunft. In einer von globalem Klimawandel bedrohten Welt mit acht Milliarden Menschen macht es regelrecht Angst. 
| Claus Hattler


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Klimawandel – Dürre, Hitze, Flut & Eis

Seit Greta Thunberg das Thema auf die Tagesordnung der Weltpolitik gebracht hat, vergeht kaum ein Tag, an dem die Öffentlichkeit nicht Ursachen und ­Folgen des Klimawandels diskutiert. Dabei wird die ­historische Dimension des Klimawandels meist auf den Zeitraum seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881 beschränkt und ausgeblendet, dass die Lebensbedingungen in allen Zeiten der ­Menschheits­geschichte in hohem Maße von den jeweiligen klimatischen Voraussetzungen ­abhängig waren.

Couchsurfing im alten Rom
Zu Besuch bei Wagenlenkern,
Philosophen, Tänzerinnen u.v.a

Cover Couchsurfing aus der Rubrik Bücher und Medien in der AiD 4/23

Klaus Wilhelm-Weeber
Darmstadt: wbgTHEISS, 2022, 168 S., 31 s/w Abb., 20 Euro



Der Autor, Honorarprofessor für Alte Geschichte an der Bergischen Universität Wuppertal, lädt in diesem beliebten Buch in vierter Auflage zu einer ereignisreichen Reise in das fiktive Privatleben von Personen ein, die alle zur Zeit Kaiser Neros (54–68 n.Chr.) lebten.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert, von denen der erste, »Als Germane in Rom«, mit sechs Besuchen an verschiedenen Orten in Rom beginnt. Es folgt der zweite Teil, »Aufenthalt auf dem Land«, mit vier interessanten Ausflügen, deren Höhepunkt die Begegnung mit dem Gladiator Sergius sein dürfte. Im dritten und letzten Teil, »Zurück in Rom«, geht die Reise mit insgesamt zehn bemerkenswerten Erlebnissen ins Nachtleben dieser antiken Stadt zurück. Darin besucht der Protagonist unter anderem das Haus des ­Garum-Königs Aulus Umbricius Scaurus auf dem Aventin, er reist aufs Land und erlebt ein Fest im Hause von Trimalchio, der fiktiven Figur aus Titus ­Petronius Arbiters nur in Teilen erhaltenem satirischen Roman »Satyricon«, und der Weg führt ihn auch zur Tänzerin Telethusa sowie zum Graffittikünstler Lucius in Rom.

Um ein so spannendes Buch mit 20 Erlebnisberichten aus dem römischen Nachtleben mit allerlei interessanten Figuren zu schreiben, muss man seine antiken literarischen Quellen bis ins kleinste Detail kennen, und das tut Karl-Wilhelm Weeber. Auch die 20 Geschichten sind sehr unterhaltsam. Das Buch ist daher für alle Leser sehr zu empfehlen.

| Jesper Tae Jensen

G*tt w/m/d – Geschlechtervielfalt seit biblischen Zeiten

Cover G*ott aus der Rubrik Bücher und Medien in der AiD 4/23

Veit Dinkelaker und Martin Peilstöcker
Oppenheim: Nünnerich-Asmus Verlag 2021, 208 S., 23 Euro


Die Genderthematik mit ihren Debatten um gendergerechte Sprache und Geschlechtervielfalt ist allgegenwärtig und macht auch vor der Bibel nicht Halt, wie der vorliegende Katalog beweist. Darin bieten sich zwei Lesarten an. Zum einen kann man von der hier vorgetragenen Expertise profitieren und erfährt Wissenswertes über Alltag, Kunst und Kultur in biblischer Zeit, z.B. über Kleidung in der südlichen Levante, Pfeilerfigurinen in Judäa oder das Alltagsleben von Jüdinnen im Perserreich.
Beabsichtigt ist jedoch die Lesart, die durchaus spannenden und wissenschaftlich fundierten Beiträge unter dem Aspekt der Geschlechterdiversität zu rezipieren. Archäologische Funde, biblische Textstellen sowie Artefakte aus Kunst und Alltagskultur zeigen, so das Postulat der Autorinnen und Autoren, dass bereits in biblischer Zeit nicht-binäre Geschlechtervorstellungen geherrscht hätten. Sie beziehen sich auf biblische Schöpfungsberichte, wonach Gott den Menschen »nach seinem Bilde, … männlich und weiblich« erschaffen habe, also eine Art androgynen Prototyp Mensch. Nicht nur Adam, auch Christus wird Androgynität zugeschrieben, ist doch die Doppelgeschlechtlichkeit, so das Credo der Autorinnen und Autoren, Ausdruck der Gottebenbildlichkeit. Am Ende des konsequent durchgegenderten und dementsprechend holprig zu lesenden Textes folgt dann ein unvermittelter Sprung in die Gegenwart – u.a. mit einem Kapitel über Conchita Wurst. Ein sehr schön bebilderter Katalog, viel Expertenwissen, aber leider auf die Genderthematik reduziert. 
| Doris Muth

Pfostenloch

Cover Pfostenloch

Daniela Heller
Berlin: avant-verlag GmbH 2022,
124 S., durchgehend farb. illustriert., 24 Euro


Wie gut eine archäologische Ausgrabung als Setting für eine Graphic Novel dient, beweist einmal mehr Daniela Heller. Ihre seltsam anmutenden Schnabelmenschen lässt die Urgeschichtlerin und Ethnologin alle Hoffnungen und Ernüchterungen durchleben, mit denen sich angehende Archäologinnen und Archäologen konfrontiert sehen. Wie erklärt man eben dem geneigten Besucher, dass ein Pfostenloch durchaus mehr über unsere Vorfahren aussagen kann als das allseits erwartete Gold? Während einen die Sorgen um Abschlussarbeit oder Anschlussbeschäftigung umtreiben.

Die Bedingungen sind hart, die Jobs rar, die Ellenbogen spitz und Simpsons-Zitate manchmal genauso allgegenwärtig wie Zigaretten. Woraus sich eine serienreife Eigendynamik aus persönlichen Einzelschicksalen und zwischenmenschlichem Miteinander entfaltet. So hat der Alltag auf Grabung nicht nur einen wissenschaftlichen Hintergrund, sondern mitunter auch etwas Philosophisches, bisweilen Absurdes.

Mit spitzem Stift und subtilem Humor fängt Heller kleine Details, weitverbreitete Klischees und große Fragen ein. Für den vielschichtigen Spagat zwischen Vergangenheit und Zukunft wurde ihre Abschlussarbeit im Bereich visuelle Kommunikation, Schwerpunkt Comic und Illustration, mit dem Max und Moritz-Preis für das beste deutschsprachige Comic-Debüt 2022 ausgezeichnet.

| Julia Rietsch

Das Danewerk im 19. und 20. Jahrhundert

Cover Danewerk

Lars Erik Bethge
Dannewerk: Danevirke Museum 2022, 162 S., 19,50 Euro


    Anders als in einer Publikation von 2020 widmet sich der Autor hier nicht den frühgeschichtlichen und mittelalterlichen Kontexten des Danewerks, einem Befestigungssystem in Schleswig-Holstein, sondern der Rezeption und Bewertung des Danewerks im 19. und 20. Jh.

    Als Kulturerbe unterlag es im Kontext der deutsch-dänischen Beziehungen dieser Zeit dynamischen Bewertungen und wurde verschiedenartig zu einer kulturell konstruierten Ressource: als Symbol, Identitätsstifter, Sehnsuchtsort, Streitobjekt, militärische ­Anlage, aber auch als Objekt der Verständigung. Diese Prozesse schlugen sich in materiellen Spuren nieder, die mitunter noch heute in der Landschaft erkennbar sind, ebenso wie in historischen Dokumenten, Fotografien und Erzählungen.
    Diesen Niederschlag hat der Autor zusammengetragen und in dem vorliegenden Buch anschaulich präsentiert, ergänzt um eine Vielzahl von Illustrationen. Drei Kapitel widmen sich dem Danewerk als »nationales Symbol« (1800–1933), »im Griff der Nazis« (1933–1945) und als »Zeichen der Verständigung« (1945–2022). Dem folgt ein viertes Kapitel über eine »moderne Legende«, die der Autor kritisch reflektiert: über Søren Telling, der das Danewerk während des Zweiten Weltkriegs vor der Zerstörung gerettet haben soll – so der Mythos.

    Dieses Buch stellt eine äußerst informative und anregende Lektüre für all jene dar, die sich nicht nur für die Geschichte des Danewerks interessieren, sondern auch für die Inwertsetzung von Kulturerbe.

    | Tobias Schade


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    Haithabu und Danewerk – Wikinger zwischen den Meeren

    Seit dem 30. Juni 2018 ist es offiziell: Haithabu und Danewerk sind von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt worden! Die archäologischen Denkmale liegen an der engsten Stelle der jütischen Halbinsel in einer idyllischen Kulturlandschaft. Dort kann jeder das Welterbe aus Frühmittelalter und ­Wikingerzeit auf einer Strecke von 33 km zu Fuß oder mit dem Rad erkunden. Zwei Museen laden ein, in die Zeit vor mehr als 1000 Jahren einzutauchen. Folgen Sie den Spuren der Wikinger rund um Haithabu und Danewerk.

    Ägyptische Mythen – Von mächtigen Gottheiten, rätselhaften Mumien und unsterblichen Pharaonen

    Cover Ägyptische Mythen

    Jean Menzies; mit Illustr. von Katie Ponder
    München: Dorling Kindersley 2022, 144 S., empf. ab 8 Jahren, 19,95 Euro



    Die Welt der ägyptischen Götter und Pharaonen – für viele ein eigener und komplexer Kosmos von Sagen und Geheimnissen. Mit diesem reich illustrierten Kinderbuch ist der Autorin eine ­Mischung aus allgemein bekannten Fakten zur ägyptischen Mythologie und spannendem Hintergrundwissen gelungen.

    Es beginnt mit dem Schöfpungsmythos um Atum, Schu und Tefnut, welche die Grundlage für die weiteren Erzählungen bilden. Anschaulich werden die wichtigsten Gottheiten und ihre Geschichten vorgestellt. Ihre Verbindungen und Besonderheiten werden ausführlich dargestellt. Doch auch der Bogen zu den Pharaonen und Sterblichen wird gespannt, welche unter anderem die Geschichten von Thoot, Maat und Anubis erzählen. Den Abschluss bildet eine ausführliche Erklärung zu den Ursprüngen der Mythen, Mumifizierung, der Reise der Toten und dem Götterkult.

    Dieses Buch fesselt insbesondere durch seine allgemein verständlichen Erzählungen, die sich durch die große Schrift zum Selbstlesen, aber auch zum Vorlesen für jüngere Kinder eignen. Viele weiterführende Informationen lassen sich in den zahlreichen Texten neben den Bildern entdecken.
    Das großformatige und haptisch ansprechende Buch zeichnet sich durch die klaren und plakativ gehaltenen Illustrationen Katie Ponders aus. Gerade die durchgehende Farbigkeit und die liebevollen Details lassen den Leser in die faszinierende Welt des alten Ägyptens abtauchen.

    | Julia Menne

    Jo’s Memory

    App Joe Memory

    Landesamt für Denkmalpflege im RPS et.al.
    Archäologie- und Römermuseum des LWL, Deutsches Bergbau-Museum
    Bochum mit NEEEU Spaces GmbH, zum Download für Android und IOS


    Zugegebenermaßen sind die LWL-Muse­en und das Deutsche Bergbau-Museum Bochum nicht die ersten Kultureinrichtungen in Deutschland, die durch eine Handy-App Jugendliche und junge Erwachsene für archäologische Themen begeistern wollen. Doch der Ansatz in diesem Fall sticht durch seine einzigartige Aufbereitung deutlich heraus.
    In »Jo’s Memory« bewegt man mit den Fingern auf dem Bildschirm des Handys eine Spielfigur durch eine neblige Stadt, die durch ihr dunkles Farbschema, das hauptsächlich aus Dunkelgrau, grellem Neongrün und Lila besteht an Klassiker des aktuell in Filmen und Videospielen sehr beliebten »Cyberpunk« -Genres erinnert. Damit trifft das Spiel zwar den Zeitgeist, verringert allerdings seine eigene Barrierefreiheit etwas.
    Das Ziel ist, durch das Aufsammeln und Untersuchen von ­Ausstellungs­objekten aus den drei teilnehmenden Museen, den sprichwörtlichen und buchstäblichen Nebel des Vergessens aus der Stadt zu vertreiben.
    Allerdings zeigen sich bei jedem Lob auch kleinere Schwierigkeiten. So bleiben einleitende Erklärungen oder detaillierte Anleitungen für den Einstieg eher rar gesät, was dazu führt, dass man besonders zu Beginn öfter blind mit dem Finger in einem schwarzen quadratischen Feld herumwischt und hofft, zufällig auf die Lösung der Aufgabe zu stoßen. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase geht das Prin-
    zip dennoch schnell in Fleisch und Blut über und das Spiel belohnt mit eingängigen Texten zu den Objekten in leichter Sprache.

    | Michael Becker


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    Cover AiD 4/23